Schnellere Diagnose für Erreger der nekrotisierenden Fasziitis
Potenzielle Biomarker für Einzelerreger und Mischinfektionen identifiziert
@HZI/Manfred Rohde
Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit: Die unauffälligen grippeähnlichen Anfangssymptome der nekrotisierenden Fasziitis (NF) sind für Ärzte schwer zu diagnostizieren. Völlig gesunde Menschen können daran erkranken, aber vor allem immungeschwächte Menschen. Den Patienten bleiben nur drei bis vier Tage für eine Rettung. Die Sterberate liegt bei 30 Prozent und steigt auf 70 Prozent an, wenn die richtige klinische Diagnose fehlt. Zudem ist eine schnelle Identifizierung der Erreger dringend nötig, um die Patienten mit einer zugeschnittenen Therapie behandeln zu können. Dies ist auch besonders bedeutsam vor dem Hintergrund zunehmender Antibiotikaresistenzen vieler Bakterienarten.
Lange war nicht bekannt, welche unterschiedlichen Erreger überhaupt bei der nekrotisierenden Fasziitis involviert sind. Im Rahmen des EU-Projektes INFECT wurde für diese Grundlagenforschung die weltweit größte Patienten-Kohorte zur nekrotisierenden Fasziitis angelegt. Für die Analysen standen humane Gewebeproben von insgesamt 150 Patienten zur Verfügung, die von Klinikern aus Norwegen, Dänemark und Schweden in einer Biobank gesammelt wurden.
„Die nekrotisierende Fasziitis ist derzeit vermehrt in den Medien, da sie auch durch im Meerwasser lebende Vibrio-Arten hervorgerufen werden kann, wie in diesem Jahr in der Ostsee. Deutlich häufiger sind jedoch Infektionen mit dem bekannten Pathogen Streptococcus pyogenes“, sagt Prof. Dietmar Pieper, Mikrobiologe und Leiter der Forschungsgruppe „Mikrobielle Interaktionen und Prozesse“, der das Projekt des Begründers Prof. Singh Chhatwal am HZI weiterführt. „Sehr oft sind die Infektionen jedoch bakterielle Mischinfektionen aus einem breiten Spektrum verschiedener Erreger.“ Über die Zusammensetzung und Aktivität dieser polymikrobiellen Gemeinschaften ist bisher noch sehr wenig bekannt.
In einer interdisziplinären Zusammenarbeit der Teams von Dietmar Pieper und Prof. Eva Medina konnten die Forscher über ein mikrobielles Profiling durch 16S-rRNA-Analysen zeigen, welche Erreger an den Mischinfektionen beteiligt sind.
„Wir konnten die Bakterienarten Prevotella, Fusobakterium, Parvimonas und Porphyromonas immer wieder in einer ähnlichen Zusammensetzung nachweisen“, sagt Dietmar Pieper. „Bisher war noch nicht bekannt, wie Gemeinschaften von eigentlich harmlosen Bakterien Infektionen verursachen können, die die gleiche Sterblichkeitsrate und das zerstörerische Potenzial wie ‚professionelle Pathogene‘ haben, wie zum Beispiel das gut untersuchte Bakterium Streptococcus pyogenes.“ Diese polymikrobiellen Infektionen, hervorgerufen durch normale Besiedler unseres Darms, der Haut oder des Mundes, wären noch viel zu wenig untersucht, weil sich die Forschung bisher auf Infektionen, die durch ein typisches Pathogen hervorgerufen werden, konzentrierte.
Um die Infektionsmechanismen der einzelnen Erreger und Mischinfektionen besser zu verstehen, führten die Forscher neben dem mikrobiellen Profiling eine sogenannte duale RNA-Sequenzierung an den Gewebeproben durch, die eine Aussage über die Aktivität der Pathogene und der Wirtsantwort direkt am Infektionsort erlaubte.
„Während die krankheitserregenden Mechanismen von Pathogenen gut untersucht sind, gibt es kaum Informationen, wie eigentlich harmlose Bakterien die Gewebezerstörung vorantreiben“, sagt HZI-Wissenschaftler Dr. Robert Thänert, der die Arbeiten koordinierte. „Wir konnten jetzt zeigen, dass Einzelerreger wie Streptococcus und die Bakterien, die man in Mischinfektionen findet, völlig verschiedene Mechanismen nutzen, was zu unterschiedlichen Prozessen der Gewebezerstörung führt.“ Die mikrobielle Besiedelung rufe im Wirt unterschiedliche Antworten im infizierten Gewebe hervor, die auch im Blutserum nachweisbar sind.
Die HZI-Forscher konnten feststellen, dass sich die Bakterienarten, die man in Mischinfektionen antrifft, die Arbeit aufteilen. „Wie in einem Orchester arbeiten sie zusammen und sind damit in der Lage, das Wirtsgewebe zu kolonisieren und hier eine zerstörerische entzündliche Immunantwort zu verstärken“, sagt Eva Medina, Leiterin der HZI-Forschungsgruppe „Infektionsimmunologie“.
Feine Unterschiede in der Wirtsantwort auf die Infektion können die Forscher nun als diagnostische Biomarker nutzen, damit Ärzte schnell über den Erreger informiert sind und eine passende Therapie ableiten können. Die Forschungsarbeiten eröffnen eine völlig neue Sichtweise auf das unterschiedliche Infektionsgeschehen bei mono- und polymikrobiellen Infektionen, die eine nekrotisierende Fasziitis verursachen können. Zukünftige Studien müssen die neuen Biomarker nun validieren, damit diese als Diagnostik-Tools einsetzbar werden.
Originalveröffentlichung
"Molecular profiling of tissue biopsies reveals unique signatures associated with streptococcal necrotizing soft tissue infections"; Robert Thänert, Andreas Itzek, Jörn Hoßmann, Domenica Hamisch1, Martin, Bruun Madsen, Ole Hyldegaard, Steinar Skrede, Trond Bruun, Anna Norrby-Teglund, INFECT study group, Eva Medina & Dietmar H. Pieper; Nature Communications; 2019.
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Themenwelt Diagnostik
Die Diagnostik ist das Herzstück der modernen Medizin und bildet in der Biotech- und Pharmabranche eine entscheidende Schnittstelle zwischen Forschung und Patientenversorgung. Sie ermöglicht nicht nur die frühzeitige Erkennung und Überwachung von Krankheiten, sondern spielt auch eine zentrale Rolle bei der individualisierten Medizin, indem sie gezielte Therapien basierend auf der genetischen und molekularen Signatur eines Individuums ermöglicht.
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