Fitnesstest fürs Erbgut

Biologisches Alter des Menschen mithilfe von KI bestimmen

07.08.2019 - Deutschland

Im Laufe des Lebens verändert sich der Erbgutstrang eines jeden Menschen durch chemische Reaktionen und Ablagerungen von Molekülen. Das kann zu Krankheiten führen. Andererseits kann man daran auch das biologische Alter eines Menschen ablesen. Fraunhofer-Wissenschaftler haben jetzt im Projekt »DrugTarget« eine Methode entwickelt, mit der sich der Zustand des Erbguts schnell überprüfen lässt – um Angriffspunkte für neue Medikamente zu entwickeln, aber auch um Menschen die Frage zu beantworten, wie gut sie sich gehalten haben.

© Fraunhofer IME/Bernd Müller

Datenverarbeitung, Analyse und Auswertung sind in einer einzigen Benutzeroberfläche vereint.

Früher glaubte man, dass das Erbgut ein Leben lang gänzlich unverändert bleibt, dass die Gene eine Matrize sind, von der die Information zum Bau der Eiweiße stets gleich abgelesen wird. Heute weiß man, dass sich das Erbgut im Laufe der Jahre verändern kann – und dass dabei auch Umwelteinflüsse oder die Lebensweise eine Rolle spielen. Zu diesen Veränderungen gehören insbesondere die sogenannten Methylierungen. Dabei werden kleine Molekülbausteine, sogenannte Methylgruppen, nach und nach an bestimmten Stellen der DNA (Erbgut) angelagert. Das kann dazu führen, dass bestimmte Gene nicht mehr abgelesen werden können. Diese Veränderungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass an speziellen Stellen Genveränderungen auftreten. In der Folge können Krankheiten entstehen. Fachleute sprechen deshalb bei der Methylierung auch von einer »Verschmutzung« der DNA.

Test für die genetische Analyse

»Andererseits ist die Methylierung ein natürlicher Prozess, der bei jedem Menschen im Laufe des Lebens stattfindet«, sagt Prof. Carsten Claussen vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME in Hamburg. Zudem werden durch die Methylierung beispielsweise auch bestimmte biologische Prozesse im Körper gesteuert. Doch eine zu starke Methylierung kann zum Problem werden. So beeinflussen unser Lebenswandel, die Ernährung, das Rauchen, Alkohol oder andere Umweltfaktoren den Methylierungsgrad in unserem Genom, der im Laufe des Lebens immer weiter steigt. »Damit ist die Methylierung gewissermaßen ein Gradmesser für die Alterung des Körpers«, sagt Carsten Claussen. Und damit wird es auch möglich, das biologische Alter des Menschen anhand des Methylierungszustands des Erbguts zu bestimmen. Eine entsprechende Methode zur Messung des biologischen Alters haben Carsten Claussen und seine Mitarbeiter gemeinsam mit Wissenschaftlern vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT entwickelt – und daraus einen Demonstrator realisiert. Die Firma Cerascreen, die mit den Fraunhofer-Experten kooperiert, hat jetzt daraus einen Test entwickelt.

Für den Test nimmt der Anwender mit einem Wattestäbchen einen Abstrich von der Mundschleimhaut und schickt diesen an ein Labor. Dort findet eine genetische Analyse statt, die Daten über die Gene und den Methylierungszustand der DNA liefert. Diese Daten werden anschließend mit einer am Fraunhofer IME entwickelten KI-Software analysiert. Aus den Methylierungsdaten schließt die Software dann auf das biologische Alter. Erste Versuchsreihen an rund 150 Probanden zeigen, dass der Algorithmus sehr gut funktioniert. Wie sich zeigte, stimmen die Schätzungen des biologischen Alters bei gesunden und fitten Menschen meist erstaunlich gut mit dem tatsächlichen chronologischen Alter der Personen überein – und weichen nur um wenige Monate voneinander ab.

Alterungsprozess aufhalten

Während das am Projekt beteiligte Unternehmen das System künftig vor allem gesundheitsbewussten Menschen anbieten möchte, die wissen wollen, wie fit oder biologisch jung ihr Körper tatsächlich ist, arbeiten die Fraunhofer-Wissenschaftler schwerpunktmäßig an einem künftigen medizinischen Einsatz. Bekannt ist, dass Methylierungen bestimmte Gene blockieren. Die Forscher wollen jetzt Wirkstoffe finden, die gezielt solche Methylierungen bestimmter Gene auflösen. Dadurch wollen sie an diesen Stellen den Alterungsprozess aufhalten, um die spätere Entstehung von Krankheiten zu verhindern. Ihr Kooperationsprojekt haben die Fraunhofer-Wissenschaftler passend »DrugTarget« genannt. »Heute gibt es riesige Datenbanken mit mehreren 1000 Wirkstoffen, die wir im Labor durchtesten wollen, um herauszufinden, ob diese bei bestimmten Methylierungen wirken«, sagt Carsten Claussen. In einem zweiten Schritt sollen dann auch neue Wirkstoffe entwickelt und getestet werden.

Die Leistung von Carsten Claussen und seinem Team bestand zunächst darin, einen Algorithmus zu entwickeln, der in den Daten aus der Genanalyse charakteristische Gene und auch Methylierungen entdecken kann. »Der Algorithmus ist in der Lage, auch bislang unbekannte Felder im Erbgut zu finden, in denen relevante Gene stecken«, sagt Claussen – also vor allem solche Gene, die aufgrund von Methylierungen möglicherweise ausfallen und somit ein Ziel für künftige Therapien sein könnten.

KI-Software vereint Datenverarbeitung, Analyse und Auswertung

Das Fraunhofer FIT wiederum entwickelt eine Anwendung, die die Datenverarbeitung, die Analyse und Auswertung in einer einzigen Benutzeroberfläche vereint. »Damit wird es möglich, die genetische Information beispielsweise mit der Suche in internationalen Datenbanken und öffentlichen Listen zu verknüpfen – etwa, wenn in den Daten plötzlich ein auffälliges Gen angezeigt wird«, sagt Carina Goretzky vom Fraunhofer FIT. »So kann man schnell nachprüfen, ob das Gen schon bekannt ist, oder ob bereits bestimmte Wirkstoffe existieren, die interessant sein könnten.« Für gewöhnlich müssen die beteiligten und Forscher, Laboranten oder Bioinformatiker bei solchen Arbeiten zwischen verschiedenen Programmen oder Internetanwendungen hin- und herwechseln. Der Demonstrator vereint alle Funktionen in einer grafischen Bildschirmanwendung. Dieser »Wissenschaftler-Arbeitsplatz« wird die Arbeit deutlich erleichtern und beschleunigen.

Während das Partnerunternehmen den Alterungstest als Lifestyle-Produkt auf den Markt bringt, soll die medizinische Anwendung des Demonstrators zunächst noch in Studien getestet werden.

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