Vermeintliche Unordnung ist gar keine
Ein Bochumer Forscherteam hat die Funktionsweise eines Proteins untersucht, dessen Fehlfunktion zu Krebserkrankungen führt
Viele - aber nicht alle - Proteine in einer lebenden Zelle haben eine definierte dreidimensionale Struktur, die für ihre korrekte Aktivität absolut notwendig ist. Die wechselseitige Beziehung zwischen Struktur und Funktion von Proteinen steht im Fokus vieler Forschungsinitiativen, die bis zur Entwicklung neuartiger Medikamente reichen.
Mindestens 30 Prozent aller Proteine sind unstrukturiert
"Auf der Basis jüngerer Forschungsergebnisse wird jedoch vorhergesagt, dass mindestens 30 Prozent aller Proteine in kernhaltigen Zellen teilweise oder sogar gänzlich unstrukturiert sind", so Raphael Stoll, Leiter der Arbeitsgruppe Biomolekulare Spektroskopie. Trotz oder gerade wegen dieser Besonderheit haben diese Proteine spezielle, teils entscheidende Funktionen sowohl bei gesunden als auch bei krankmachenden Prozessen. Dazu gehören zum Beispiel die Regulation des Zellzyklus, die Übertragung von biologischen Signalen, aber auch die Entwicklung von Krebs oder neurodegenerativer Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson.
Eines dieser scheinbar ungeordneten Proteine ist das High Mobility Group Protein A1a (HMGA1a). Es ist in großer Stückzahl im Zellkern enthalten und wichtig für die Embryonalentwicklung, die Zelldifferenzierung, aber auch beteiligt an der Entstehung unkontrollierter Zellwucherungen, sogenannter Neoplasien.
Das erste Strukturmodell in voller Länge
Dem Bochumer Forscherteam ist es erstmals gelungen zu zeigen, dass das HMGA1a-Protein nicht zufällige Formen annimmt, sondern dynamische, kompaktere Strukturen. Damit konnten die Wissenschaftler das erste Strukturmodell des HMGA1a-Proteins in voller Länge erstellen.
Darüber hinaus konnten sie zeigen, welche strukturellen Auswirkungen die Phosphorylierung des HMGA1a-Proteins auf die natürliche Proteinfunktion hat. Durch das Anhängen von Phosphorylgruppen werden viele Proteine in ihrer Funktion verändert und somit ein- oder ausgeschaltet. Außerdem können Phosphorylgruppen die Möglichkeit des Proteins beeinflussen, an andere Zellbestandteile zu binden. HMGA1a bindet an die DNA. Dieser Prozess ist für dessen biologische Wirkungsweise von großer Bedeutung, da HMGA1a beispielsweise daran beteiligt ist, die Bildung von RNA zu regulieren und die Chromosomen zu reorganisieren.
Struktur und Bindungsmöglichkeiten ändern sich
Die Forscher benutzten die magnetische Kernresonanzspektroskopie, die nicht nur Informationen zur Struktur, sondern auch zur Dynamik von Proteinen liefern kann. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die dynamischen und kompakten Strukturen dieses Proteins von dessen Phosphorylierungszustand abhängen", berichtet Raphael Stoll. In der Zelle wird das HMGA1a-Protein durch die sogenannte Casein-Kinase 2 phosphoryliert. Das hat Auswirkungen auf das elektrostatische Netzwerk im HMGA1a-Protein und ändert dadurch das dynamische Strukturensemble dieses Proteins. Weitere Untersuchungen konnten zeigen, dass diese Veränderungen sich sogar auf die Fähigkeit des HMGA1a-Proteins auswirken, an seine natürliche Zielsequenz in der DNA des Zellkerns zu binden.
Originalveröffentlichung
Bastian Kohl, Xueyin Zhong, Christian Herrmann, Raphael Stoll: "Phosphorylation orchestrates the structural ensemble of the intrinsically disordered protein HMGA1 and modulates its DNA binding to the NFKB promoter."; Nucleic Acids Research, 2019.