Warum fehlen Start-ups im Osten?
Gründer dringend gesucht
(dpa) Jenny Müller steht mit einem versiegelten Becher in ihrer Versuchsküche auf dem Campus der Uni Halle. Er ist gefüllt mit geschnittenen Mangos, Äpfeln, Granatapfelkernen und Heidelbeeren - die dank Spezialbehandlung sieben Tage frisch bleiben sollen. Haltbarer Obstsalat ist das Geschäft der «Frischemanufaktur». Es ist Müllers Idee. Und ihre Firma.
geralt, pixabay.com, CC0
Sachsen-Anhalts Landesregierung erzählt Müllers Geschichte gern, denn die junge Frau gilt als Vorbild im wenig gründungsfreudigen Osten. Auch, weil sie vor einem Jahr mit der Firma in die Region zog und dafür München verließ.
In der bayerischen Hauptstadt sei es wegen der Konkurrenz durch große Konzerne und andere Start-ups schwierig, Personal zu finden, sagt sie. In Halle wurden es schnell fünf Werksstudenten, ein Produktentwickler, ein Vertriebsexperte. «Ich glaube nicht, dass ich am alten Standort so gute Leute bekommen hätte.»
Kann das Modell Schule machen und das Gründungsgeschehen in Ostdeutschland ankurbeln? Bisher ist es besonders wenig ausgeprägt, in einem Land, das im europaweiten Vergleich sowieso wenig gründet.
Paul Wolter vom Deutschen Start-up-Verband glaubt nicht, dass Müller Pionierin für ein Massenphänomen ist. Start-ups gingen gern dorthin, wo schon welche seien: Berlin, München, Hamburg. Die Nähe zu Kunden sei wichtig, der Austausch mit anderen Gründern. Im Osten genieße in der Start-up-Szene einzig Leipzig den Ruf als interessantes Pflaster. Helfen könnten Gründerunterstützungen direkt an den Unis, sagt Wolter. Doch eine Trendumkehr bringe das so schnell nicht. «Bisher ist die Magnetkraft Berlins ungebrochen.»
Studien bestätigen diese Beobachtung. Im aktuellen Gründungsmonitor der nationalen Förderbank KfW rangieren Thüringen (74 Gründungen je 10.000 Erwerbsfähige), Sachsen-Anhalt (77 Gründungen) und Mecklenburg-Vorpommern (84 Gründungen) am Ende der Tabelle. Sachsen ist Neunter (106 Gründungen), nur Brandenburg ragt mit Platz 3 (134 Gründungen) heraus. Deren Standortvorteil heißt Berlin, denn die Bundeshauptstadt ist Start-up-Champion (193 Gründungen) und strahlt ins Umland aus, wie die KfW-Studie konstatiert.
Ändert sich an dem Ranking in naher Zukunft was? «Ich sehe da eher schwarz», sagt der Vize-Chef des Dresdner Ifo-Instituts, Joachim Ragnitz. Derzeit geben im Osten deutlich mehr Unternehmer aus Altersgründen auf als neue dazukommen. Das kann zu einem Konjunkturkiller werden, dabei müsste der bei der Wirtschaftskraft nach wie vor hinterherhinkende Osten dringend aufholen.
Der Negativtrend erkläre sich auch durch die schrumpfende Bevölkerung. Es gebe weniger Ostdeutsche in der gründungsfreudigen Gruppe der 30- bis 39-Jährigen - und ein sicheres Angestellten-Dasein zähle viel. Langfristig könne es helfen, unternehmerisches Denken in den Lehrplan von Schulen und Unis aufzunehmen, sagt Ragnitz.
Rührt die Scheu auch aus den Erfahrungen der DDR, wo Unternehmertum von der Staatsführung verpönt wurde? Sicherlich habe das einen Einfluss, auch weil in der Elterngeneration Vorbilder fehlten, so der Ökonom. Entscheidender dürfte aber die Massenarbeitslosigkeit nach dem Mauerfall sein. Die Angst vor einem Jobverlust sitze tief, und Selbstständigkeit bleibe immer ein Risiko.
Sachsen versucht mit Förderprogrammen, Wettbewerben und Beteiligungen für mehr Unternehmertum zu sorgen, wie das Dresdner Wirtschaftsministerium mitteilt. Seit 2007 seien allein an den Hochschulen mehr als 800 Gründungen gefördert worden. Trotzdem konstatiert auch das Ministerium: «Die Neigung, das Risiko einer Selbstständigkeit einzugehen, ist gegenwärtig eher gebremst.»
Sollten die ostdeutschen Länder also aktiv um westdeutsche Gründer werben, wo die Neigung etwas größer ist? Brandenburgs Wirtschaftsministerium hält das für keine gute Idee. «Vielmehr soll das Angebot an Förderungen verbunden mit Qualität und Kompetenz für sich sprechen», hieß es. Das Land biete für junge Gründer Beratung und Coachings an - auch für jene, die ein bestehendes Unternehmen übernehmen wollten. Hinzu kämen Finanzierungshilfen.
So hat letztlich auch Sachsen-Anhalt die Frischemanufaktur von Jenny Müller nach Halle gelockt. Auf der Suche nach Wagniskapital wurde sie bei einer Tochtergesellschaft des Landes fündig. Die Bedingung hieß: Geld gegen Umzug nach Sachsen-Anhalt. Sie sei glücklich, das angenommen zu haben, sagt Müller. Wenn ihr Unternehmen funktionieren und wachsen sollte, könnte in drei Jahren auch die Produktion von Würzburg nach Sachsen-Anhalt ziehen. «Wir planen das sehr konkret.»
Vor der Selbstständigkeit arbeitete Müller für eine Supermarktkette. Sie sei entsetzt gewesen, wie viel vom Obstsalat aus der Frischetheke in die Mülltonne gewandert sei. Ein Jahr tüftelte Müller an einer Mixtur aus Vitamin C, Calciumcarbonat und einer Schutzatmosphäre, die dafür sorgt, dass der Salat sich eine Woche hält. Dann sicherte sie sich das Exist-Gründerstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums und kündigte. Einige Supermärkte in Hamburg und Bayern haben ihre Obstsalate im Sortiment, dazu kommen Bürokunden und Tankstellen. Am nächsten Produkt wird schon getüftelt: haltbare Gemüsespieße.
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