Epigenetische Studie liefert neue Ansätze für Kombinationstherapien bei aggressiven Krebsarten

30.05.2019 - Österreich

Eine aktuelle Studie des CeMM gibt Aufschluss darüber, wie das Zusammenspiel eines epigenetisch aktiven Proteins namens BRD4 mit dem Stoffwechsel-Enzym MTHFD1 die Genaktivität und das Zellwachstum steuert. Die Ergebnisse der Studie wurden nun im renommierten Fachjournal Nature Genetics veröffentlicht. Sie weisen den Weg für den zielgerichteten Einsatz von Kombinationstherapien bei aggressiven Krebserkrankungen.

Epigenetische Prozesse ermöglichen es Zellen, auf Veränderungen in ihrer Umgebung zu reagieren, indem sie die Aktivität ihrer Gene regulieren. Eines der Proteine, die dabei eine zentrale Rolle spielen, ist BRD4, ein gut charakterisierter „epigenetischer Leser“, der acetylierte Lysinsreste sowohl an Histon- als auch an Nicht-Histon-Proteinen erkennt und daran bindet. Schon 2016 hatten WissenschaftlerInnen rund um Stefan Kubicek am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erstmals ein zelluläres Reportersystem für die BRD4 Aktivität beschrieben. Nun gelang es den ForscherInnen, in diesem Zellmodell systematisch zu testen, wie sich der Verlust jedes einzelnen der rund 23,000 menschlichen Gene auf die Aktivität von BRD4 auswirkt. Überraschenderweise wurde dabei ein Zusammenspiel des Folat-Metabolismus mit der Genregulation entdeckt.

Moderne molekularbiologische Technologien ermöglichen es, in Genom-weiten genetischen Screens Populationen mutageniserter Zellen zu generieren, sodass in jeder Zelle jeweils ein Gen ausgeschaltet ist. Die BRD4 Reporterzellen ermöglichten es dem Labor von Stefan Kubicek am CeMM, aus dieser Zellpopulation präzise jene Zellen auszuwählen, die sich so verhalten, als ob BRD4 inhibiert wäre. Durch Next Generation Sequencing konnten dann die ausgeschalteten Gene identifiziert werden. „Wir hätten erwartet, einen der klassischen epigenetischen Faktoren zu finden“, so Kubicek, „umso mehr hat es uns überrascht, dass der beste Treffer MTHFD1 war.“ Dieses Enzym ist in den Folsäure-Zyklus involviert, einem Vorgang, der - wie man dachte - nichts mit BRD4 zu tun haben könne. Dies umso mehr, als MTHFD1 hauptsächlich im Zellplasma vorkommt, während BRD4 im Zellkern arbeitet.

Zufall und Glück lieferten Erstautorin Sara Sdelci ein weiteres Puzzleteil, das die Ergebnisse bestätigte. Bei einer Konferenz traf sie Philipp Rathert aus Johannes Zuber’s Labor am IMP, an dem auch zu BRD4 geforscht wird. Sara Sdelci: „Philipp Rathert hatte Daten generiert, die zeigen, dass MTHFD1 auch physisch an BRD4 bindet.“ In den darauffolgenden Versuchen hat sich gezeigt, dass sich ein kleiner Teil des MTHFD1 Proteins auch im Zellkern findet. Durch die Interaktion mit BRD4 wird MTHFD1 an die DNA rekrutiert wir, und trägt so zur Genregulation bei.

Klinische Relevanz erhält die Studie von Sara Sdelci für Tumore, bei denen die Fehlregulation von BRD4 eine Rolle spielt. Einerseits sind Tumore bekannt, die direkt durch genetische Veränderungen am BRD4 Gen angetrieben werden, andererseits trägt BRD4 in einer Vielzahl weiterer Krebserkrankungen über seine Rolle in der Genexpression zum Zellwachstum bei. Dementsprechend haben Pharmafirmen hochaktive BRD4 Inhibitoren entwickelt, die momentan gerade in klinischen Studien getestet werden. Doch in der Praxis reicht eine Therapie, die auf nur einer Substanz basiert, oft nicht aus.

Die Entdeckung des Zusammenspiels von BRD4 und dem Enzym MTHFD1 aus dem Folsäure Metabolismus verspricht neue Ansätze in der Krebstherapie, insbesondere bei der Behandlung besonders aggressiver Tumore. Antifolate, also Stoffe, die den Folsäurezyklus hemmen, werden schon seit mehr als 70 Jahren in der Krebstherapie und auch gegen Krankheiten wie rheumatoide Arthritis eingesetzt. Die neue Studie zeigt, dass die Antifolate mit BRD4-Inhibitoren kombiniert werden können, und so (besonders aggressive) Tumore noch effektiver bekämpft werden können. Die Ergebnisse könnten auch dazu beitragen, Therapien zielgerichtet einzusetzen. „Allenfalls können aufgrund unserer Erkenntnisse auch Patienten ausgewählt werden, die aufgrund ihres Folsäurelevels und ihrer Genetik besonders gut auf BRD4 Inhibitoren ansprechen“, so Stefan Kubicek.

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