Max-Planck-Gesellschaft veröffentlicht Stellungnahme zur Genom-Editierung
Wissenschaftler lehnen Veränderung der menschlichen Keimbahn zum jetzigen Zeitpunkt ab
Mithilfe der Genom-Editierung lässt sich heute das Erbgut von Organismen präzise und effizient verändern. Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft haben in den letzten Jahren neue Editierungstechniken entwickelt und angewendet, und damit wichtige Erkenntnisse in den Biowissenschaften und der Biomedizin gewonnen.
Im Auftrag von Max-Planck-Präsident Martin Stratmann hat der Ethikrat der Max-Planck-Gesellschaft über einen Zeitraum von zwei Jahren den Wissensstand zur Genom-Editierung begutachtet und ein Diskussionspapier formuliert, das Anfang Juni zugänglich gemacht wird. Die darauf beruhende, nun veröffentlichte Stellungnahme fasst die Kernpunkte zusammen und beleuchtet für die Wissenschaft und Politik relevante Themen. Sie deckt ein breites Spektrum von Standpunkten zu den Auswirkungen der Genom‐Editierung in der Grundlagenforschung ab und berücksichtigt auch die Positionierungen anderer Organisationen. „Die Stellungnahme soll die Diskussion über eine Reihe forschungsrelevanter Themen anregen. Die Max-Planck-Gesellschaft möchte ihre Expertise in den öffentlichen Diskurs einbringen, damit die Politik informierte Entscheidungen in einem gesellschaftlich wichtigen, aber auch sehr komplexen Themengebiet treffen kann“, sagt Martin Stratmann.
Mit der Genom-Editierung von Körperzellen – also allen Zellen außer den Keimzellen – könnten sich künftig eine Reihe von Krankheiten behandeln lassen. Beispiele dafür sind erbliche Gendefekte, manche Krebsformen und Infektionskrankheiten wie HIV. Klinische Studien sind hierzu bereits im Gange. An dem großen Potenzial der Genom-Editierung für die Entwicklung von Therapien gibt es den Forschern der Max-Planck-Gesellschaft zufolge keinen Zweifel. Große Fortschritte sind zunächst im Bereich der Genom-Editierung von Körperzellen zu erwarten, unter anderem da der Stellungnahme zufolge hierbei keine neuen ethischen oder rechtlichen Fragen entstehen.
Offene Fragen zur erblichen Genom-Editierung
Eingriffe in die menschliche Keimbahn oder die Verwendung menschlicher Embryonen für die wissenschaftliche Forschung sind in Deutschland und 13 weiteren europäischen Ländern verboten. Anders als die Genom-Editierung von Körperzellen wirken sich Eingriffe ins Erbgut von Embryonen oder Keimzellen nicht nur auf einen einzelnen Menschen, sondern auf künftige Generationen aus. Die erbliche Genom-Editierung von Menschen würde unter anderem das Selbstbestimmungsrecht künftiger Generationen einschränken.
In ihrem Positionspapier lehnt die Max-Planck-Gesellschaft Eingriffe in die menschliche Keimbahn zum derzeitigen Stand der Technik ab. Zentrale Sicherheitsbedenken und ethische Fragen sind noch ungelöst. Darüber hinaus gibt es bereits bedeutend sicherere Alternativen wie zum Beispiel die Präimplantationsdiagnostik. Damit die Keimbahn‐Editierung des Menschen eingesetzt werden kann, müssen erst die ethischen Konflikte gelöst und der mögliche Nutzen und Schaden durch unerwünschte Effekte in nachfolgenden Generationen abgewogen werden. Eine weitere Komplikation besteht darin, die Grenze zwischen der Heilung einer Krankheit und der Verbesserung kognitiver oder anderer Merkmale zu ziehen. Solange es keinen klaren Weg zur Lösung solcher ethischen Fragen gibt, empfiehlt die Max‐Planck‐Gesellschaft keinen Einsatz der Genom‐Editierung in der menschlichen Keimbahn.
Anpassung der europäischen Gentechnik-Gesetze
Eine wichtige Frage betrifft die rechtliche Einordnung von Genom‐editierten Pflanzen und Tieren, die Wissenschaftler im Freien anbauen oder aufziehen wollen. 2018 hat der Europäische Gerichtshof auf Basis des europäischen Gentechnik‐Gesetzes von 2001 entschieden, dass Genom‐editierte Organismen dieselben Genehmigungsverfahren durchlaufen müssen wie gentechnisch veränderte Organismen.
Viele Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft sind über diese Entscheidung besorgt, da sie Feldstudien und die Züchtung von Genom-editierten Nutzpflanzen in Deutschland extrem erschwert. Sie fordern deshalb die Aktualisierung der europäischen Gentechnik‐Regulation. Eine neue Richtlinie sollte dem Positionspapier zufolge die wissenschaftlichen Fortschritte der letzten Jahre berücksichtigen und zwischen Technologien unterscheiden, die durch die Genom-Editierung natürliche Mutationen nachahmen, und solchen, die mehr Kontrolle erfordern.
Mit der Genom-Editierung lässt sich auch das Erbgut wilder Tierarten verändern, etwa das von Insekten. Vor allem in Kombination mit der sogenannten Gene‐Drive‐Technologie können Forscher so ganze Populationen verändern oder vernichten. Dies ist dadurch möglich, dass eine ganze Population von Individuen mit einem modifizierten Gen innerhalb weniger Generationen übernommen wird. Solche Gene könnten beispielsweise eine Mückenart daran hindern, Krankheiten wie Malaria zu übertragen, indem sie die Insekten resistent gegen die Krankheitserreger oder unfruchtbar machen und sie dadurch ausrotten.
Gene Drive: Nutzen und Risiken
Die Max-Planck-Gesellschaft empfiehlt, dieses Forschungsfeld weiter zu beobachten, denn es birgt zwar hohes Potenzial für die Bekämpfung von Krankheiten, die Risiken sind aber zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. So ist in den meisten Fällen noch nicht ausreichend untersucht, welche Auswirkungen der Verlust bestimmter Arten auf ein Ökosystem hat. Zudem wirft die Anwendung der Technik ethische und rechtliche Probleme auf. Es müssen beispielsweise mögliche grenzüberschreitende Auswirkungen der Freisetzung genetisch veränderter Insekten beachtet werden. Außerdem muss sichergestellt sein, dass die von der Freisetzung betroffenen Menschen hinreichend über den Zweck sowie mögliche Folgen aufgeklärt werden.
Die Max-Planck-Gesellschaft hält es für erforderlich, international gültige ethische und rechtliche Standards für den Einsatz von Gene Drives zu entwickeln. Um diesen Prozess zu unterstützen, wird sie künftig Entscheidungsträgern im In‐ und Ausland ihre wissenschaftliche Expertise zu den Chancen und Risiken dieser Technologie zur Verfügung stellen.