Eine Frage der Zeit: Wie das Immunsystem körpereigene von krankheitserregenden Molekülen unterscheidet

06.05.2019 - Deutschland

Ein Team um die Freiburger Biologen Prof. Dr. Wolfgang Schamel und Prof. Dr. Wilfried Weber hat in einem Experiment die Dauer der Wechselwirkung eines Proteins mit T-Zellen, weißen Blutkörperchen, kontrolliert und damit gezeigt, wie das Immunsystem krankheitserregende von körpereigenen Molekülen unterscheidet.

Sascha Yousefi

Der Einsatz von Licht spielt bei den Forschern eine wichtige Rolle.

Die Aufgabe des Immunsystems ist es, zwischen körpereigenen Zellen und Krankheitserregern zu unterscheiden. Um den Körper vor Krankheiten zu schützen, muss es diese Erreger erkennen und angreifen, ohne eigene Zellen zu schädigen. T-Zellen sind ein wichtiger Zelltyp des Immunsystems, die diese Aufgabe übernehmen; sie binden sich über ihren T-Zellrezeptor – eine Andockstelle – an pathogene, also krankheitserregende und an eigene, nicht pathogene Moleküle.

Wie die Zellen unterscheiden, ob ein pathogenes Molekül oder ein eigenes Molekül an den T-Zellrezeptor gebunden hat, ist eine zentrale Frage in der Immunologie. Seit 1995 wird vermutet, dass die T-Zelle misst, wie lange das  Molekül mit dem Rezeptor interagiert. Bindet ein Molekül lange wird es als Pathogen eingestuft, und bindet es kurz, als eigenes. Die Dauer der Bindung konnte bisher in keinem Experiment genau kontrolliert werden. Deshalb konnte diese Hypothese bisher weder bestätigt noch widerlegt werden.

Das so genannte Bio-Engineering, die Konstruktion von biologischen Systemen, ist ein Hauptforschungsfeld der Freiburger Exzellenzcluster im Bereich biologische Signalforschung BIOSS und CIBSS. In dem jetzigen T-Zell-Projekt haben die Forscher ein Hybridsystem konstruiert, bei dem Komponenten aus Menschen, Pflanzen, Bakterien und Quallen kombiniert werden, um das System mit einer neuen Eigenschaft auszustatten: Es ist damit möglich, die Bindungsdauer des T-Zellrezeptors und eines wechselwirkenden Moleküls, in diesem Fall ein Photoprotein aus Pflanzen, mithilfe von Rotlicht als Fernbedienung präzise zu steuern. Diese Verwendung lichtempfindlicher Proteine als molekulare Schalter ist als Optogenetik bekannt. Mit Hilfe des OptoRobot, einer optogenetischen Hochdurchsatz-Plattform, haben die Wissenschaftler Experimente an einer großen Anzahl von Proben gleichzeitig durchgeführt. So haben sie genaue Ergebnisse erhalten und aussagekräftige Schlussfolgerungen für die Studie gezogen.

Schaffen die Forscher eine Lichtbedingung, bei der das Photoprotein nur kurz mit dem T-Zellrezeptor wechselwirkt, werden die T-Zellen nicht aktiv. Bei Bedingungen, die längere Interaktion verursachen, findet hingegen eine Aktivierung statt; deren Schwellenwert liegt bei acht Sekunden. Dieses Ergebnis stützt die Annahme, dass T-Zellen pathogene von eigenen, nicht-pathogenen Molekülen anhand der Wechselwirkungszeit unterscheiden können.

An den Arbeiten waren Forscher aus den Exzellenzclustern BIOSS und CIBSS der Universität Freiburg sowie des Deutschen Krebsforschungszentrums und der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, der Universität Wageningen/Niederlande und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf beteiligt. Die Ergebnisse ermöglichen ein besseres Verständnis dafür, wie T-Zellen zwischen körpereigenen und pathogenen Molekülen unterscheiden und helfen dabei, die Immuntherapie oder die Behandlung von Autoimmunität, bei der das Immunsystem gegen den eigenen Körper vorgeht, voranzutreiben. Das neue Optogenetiksystem und die Robotikplattform könnten auch dazu dienen, um andere Rezeptoren und den zeitlichen Verlauf von Protein-Protein-Wechselwirkungen zu untersuchen.

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