Ein Gen, das Angst macht
Die erhöhte Aktivität des TMEM132D Gens scheint an der Entwicklung der Panikstörung beteiligt zu sein
Mit extrem empfundenen Ängsten belastet eine Panikstörung die Betroffenen emotional auf unerträgliche Weise. Das Gefühl zu Sterben oder Verrückt zu werden prägt die Empfindung; zudem erzeugen mehrfach erlebte Panikattacken die Angst vor der Angst. Als Konsequenz scheuen viele Betroffene offene Räume und unkontrollierbare Situationen. Arbeitsunfähigkeit und eine starke soziale Isolation bis hin zum Unvermögen die eigene Wohnung zu verlassen, sind oft die Folge.
Psychotherapeutische Behandlungsmethoden versuchen die Angst vor der Angst zu nehmen. Etwa mit Hilfe von Konfrontationstherapien soll das Gehirn des Panik-Patienten wieder lernen, dass die angstbesetzte Situation das eigene Leben nicht gefährdet. Doch schon den Weg zum Therapeuten oder Arzt können viele Betroffene ohne begleitende medikamentöse Behandlung nicht bewältigen. Gängige angstlösende Präparate können sie allerdings nur über kurze Zeit einnehmen, weil diese Anxiolytika Nebenwirkungen wie Sedierung, Entwicklung von Medikamententoleranz und Absetzprobleme mit sich bringen.
Forscher des Max-Planck-Instituts haben jetzt möglicherweise einen neuen Ansatzpunkt für Therapien entdeckt, die auf die Ursachen der Erkrankung zielen. Ein Team um Angelika Erhardt, Leiterin der Ambulanz für Angststörungen, wies bei 908 Patienten mit Panikstörung eine Besonderheit im TMEM132D Gen nach. Und auch die entsprechenden Veränderungen auf Molekülebene stellten die Forscher fest. Als sie nämlich Gewebeproben des Vorderhirns verstorbener Risikovariantenträger untersuchten, beobachteten sie erhöhte Mengen an Transmembran Proteins 132D. Die Wissenschaftler belegten somit, dass die Risikovariante des Gens die Aktivität dieses Erbfaktors unmittelbar funkionell beeinflusst.
"In vielen bisherigen genetischen Studien zu psychiatrischen Erkrankungen werden zwar Genveränderungen identifiziert, welche mit den krankhaften Symptomen meist einhergehen", erklärt Arbeitsgruppenleiterin Elisabeth Binder. Selten jedoch ließen sich diese mit ursächlichen molekularen Konsequenzen für die Erkrankung in Zusammenhang bringen. "Das ist in unserer Panikstudie anders, die Genveränderung scheint zu einer gesteigerten Menge des TMEM132D Produkts selbst zu führen", sagt die Wissenschaftlerin: "Das lässt uns hoffen, hier einen ursächlichen Faktor für krankhaftes Angstverhalten gefunden zu haben."
Zusätzliche Analysen in einem Tiermodell mit genetisch veranlagter erhöhter Angst verdeutlichen, dass die Funktion von TMEM132D für Angstverhalten biologisch konserviert ist. Denn auch Mäuse mit einer Risikovariante des Gens verhalten sich besonders ängstlich. Zudem ist das Gen bei diesen Mäusen ebenfalls im zingulären Kortex, einer zentralen Region zur Verarbeitung von Angst- und Furchtauslösern, besonders aktiv. Diese Struktur kontrolliert die zentrale Hirnregion für Angstverhalten, die Amygdala, in ihrer Reaktion auf furchtauslösende Faktoren. Die Forscher spekulieren, dass erhöhte TMEM132D Eiweißmengen im Kortex die neuronale Kommunikation mit dem Gefühlszentrum verändern. Dies könnte die überschießende Angstreaktion ermöglichen.
Die genaue molekulare Funktion von TMEM132D ist noch nicht bekannt, das Gen wird jedoch in höchster Konzentration in Nervenzellen des Gehirns produziert. Möglicherweise spielt es dort eine zentrale Rolle bei der Etablierung von Nervenverbindungen zwischen dem Gefühlszentrum und der bewussten Kontrollregion ein. Jedenfalls hoffen die Forscher, mit TMEM132D eine Ursache für die Entwicklung der Panikstörung identifiziert zu haben. Weitere Analysen der molekularen Zusammenhänge sollen nun den Weg zu neuen Therapien ebnen.
Originalveröffentlichung: Angelika Erhardt et al.; "TMEM132D: a new candidate for anxiety phenotypes - evidence from human and mouse studies"; Molecular Psychiatry, vorgezogene Online Publikation 6. April 2010