Gedächtnis wie ein Sieb?
Unter welchen Bedingungen Menschen im Alter neue Erinnerungen bilden können
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Menschen sind nicht nur in der Lage, neue Erinnerungen zu bilden, sondern können diese in der Regel auch viele Jahre später wieder abrufen. Mit zunehmendem Alter jedoch entwickeln viele Menschen Schwierigkeiten, neue Erinnerungen zu bilden; dies wird als altersbedingte Gedächtnisstörung bezeichnet. Ein umfassendes Verständnis dieses komplexen Prozesses ist Voraussetzung, um altersbedingten Erkrankungen auf der Ebene der Nervenzellen effektiv begegnen zu können. In der aktuellen Publikation zeigt das Team von Stephan Sigrist von der Freien Universität Berlin, welche Rolle das zelluläre Reinigungsprogramm namens Autophagie spielt.
Erinnerungen werden durch strukturelle und funktionelle Veränderungen an Neuron-zu-Neuron-Verbindungen (Synapsen) im Gehirn gespeichert; diese Fähigkeit, Veränderungen einzugehen, wird als synaptische Plastizität bezeichnet. Bei der synaptischen Signalübertragung stehen die Präsynapsen den Postsynapsen gegenüber, wobei letztere die freigesetzten chemischen Signale erkennen und weiterleiten. Eine Zunahme der Größe dieser präsynaptischen Strukturen war von der Arbeitsgruppe von Stephan Sigrist zuvor als Ursache für eine altersbedingte Gedächtnisstörung in der Fruchtfliege Drosophila gefunden worden. Die Fruchtfliege gilt als etabliertes genetisches Modell für eine altersbedingte Gedächtnisstörung. Die vergrößerten präsynaptischen Strukturen verstärken die synaptischen Signale und erschwerten damit gleichzeitig nach der Vermutung der Forscher die Fähigkeit, plastische Veränderungen einzugehen. Damit aber werden Lernprozesse beeinträchtigt bis hin zur Ineffizienz. Die genetische Nachahmung einer solchen Vergrößerung war tatsächlich hinreichend, um Gedächtnisstörungen schon bei jungen Drosophila-Tieren auszulösen, wie die Mitglieder der Arbeitsgruppe herausfanden. Ein Mittel, diesen altersbedingten Gedächtnisstörungen entgegenzuwirken, ist den Ergebnissen zufolge das körpereigene Kleinmolekül Spermidin, dessen Konzentration im Körper mit zunehmendem Alter abnimmt. Die Forscher konnten zeigen, dass die Fütterung der Fliegen mit Spermidin die Größe der präsynaptischen Strukturen und damit die Gedächtnisleistungen auf dem Niveau jugendlicher Tiere stabilisieren konnte. Spermidin führte zur Belebung des zellulären Reinigungsprogramms Autophagie, wie in mehreren Tiermodellen und in menschlichen Zellen gezeigt werden konnte. Tatsächlich deuten neueste Studien darauf hin, dass die Verabreichung von Spermidin auch ältere Menschen vor Demenz schützen könnte.
Wie die Wissenschaftler weiter herausfanden, ist die Fähigkeit der Fruchtfliege, etwas zu erinnern, abhängig davon, wie gut das Reinigungsprogramm Autophagie in einem spezifischen Lern- und Gedächtniszentrums in ihrem Gehirn funktioniert. „Eine genetische Blockade der Autophagie in diesem Lern- und Gedächtniszentrum verursachte eine frühzeitige Gedächtnisstörung, die junge Tiere bereits ,alt‘ aussehen ließ“, erläutert Biologie-Professor Stephan Sigrist. Überraschenderweise führte die Blockade der Autophagie in diesen Regionen im gesamten Gehirn zu einer Zunahme dieser präsynaptischen Struktur. Diese Synapsen ähnelten denen älterer Tiere.
Normalerweise unterdrücke die Freisetzung schützender Neuropeptide eines bestimmten Typus aus den Lernzentren die synaptische Alterung im Gehirn. Wird die autophagische Reinigung in den Lernzentren allerdings ineffizient, würden auch weniger solcher Neuropeptide freigesetzt, und die Synapsen alterten im gesamten Gehirn. Genau solche Neuropeptide wiederum würden als mögliche Anti-Aging-Faktoren auch für Menschen angesehen und untersucht, sodass direkte Bezüge zur menschlichen Situation wahrscheinlich seien.