Neue Therapiemöglichkeit bei aggressivem Blutkrebs entdeckt
Akute myeloische Leukämie (AML) ist die häufigste Form der akuten Leukämien. Ein prägendes Merkmal der AML ist der Anstieg von malignen myeloischen Vorläuferzellen auf Kosten reifer Blutzellen. Nur ein Viertel aller AML-PatientInnen überlebt nach der Diagnose der Erkrankung die folgenden fünf Jahre. Diese Form des Blutkrebses steht damit besonders im Forschungsfokus, um das Wissen über die Krankheit weiter zu vertiefen und die Entwicklung neuer Therapieansätze voranzutreiben.
Eine am Ludwig-Boltzmann-Institut für Krebsforschung von Forschern der Vetmeduni Vienna und der Meduni Wien durchgeführte Studie identifizierte nun einen möglichen Ansatz zur Behandlung von AML , welche eine mutierte und dadurch onkogen wirkende Isoform des für die Blutzellreifung wichtigen Proteins C/EBPα aufweist. Denn die Interaktion von mutiertem C/EBPα mit einem epigenetischen Regulator, dem sogenannten MLL1-Komplex, stellte sich laut der in Leukemia veröffentlichten Ergebnisse als Schwachpunkt der mutierten AML-Zellen heraus. Wurde der Komplex funktionell gehemmt, starben diese Zellen ab. Mit einer gezielten Inhibition von MLL1 könnte demnach die Blockade der normalen Blutzell-Reifung bei bestimmten AML-PatientInnen potentiell aufgehoben werden.
Krebserregende Isoform eines wichtigen Faktors der Blutentwicklung im Fokus
Der sogenannte Transkriptionsfaktor CCAAT/enhancer binding protein alpha, kurz C/EBPα, ist ein äußerst wichtiger Faktor in der Blutentwicklung, da er kritische Schritte in der Entstehung von reifen Blutzellen steuert. In zehn bis fünfzehn Prozent aller AML-Patienten weist das CEBPA-Gen jedoch Mutationen auf, welche die Ausbildung der korrekten Proteinform verhindern.
„Bei AML-Patienten treten die meisten Mutationen im N-terminalen Teil des CEBPA-Gens auf. Das führt dazu, dass lediglich ein verkürztes C/EBP? Protein, die Isoform p30, hergestellt wird, was einen unreifen Zellzustand begünstigt und dadurch Leukämie auslösen kann“, erklärt Erstautorin Luisa Schmidt, deren Arbeit durch ein Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (DOC) gefördert wurde.
Die durch die Mutation entstehende und onkogen wirkende Proteinvariante C/EBPα p30 macht sich sogenannte epigenetische Mechanismen zu Nutze, um die Genexpression in Leukämiezellen zu steuern. In dieser Partnerschaft zeigten die Forscher die angesprochene Schwachstelle auf.
Onkogene Proteinvariante braucht funktionellen, epigenetischen Regulatorkomplex
Es ist bekannt, dass epigenetische Vorgänge die Expression von Genen steuern können. Ebenso wurde bereits gezeigt, dass die C/EBPα p30 Isoform sich diese Vorgänge zu Hilfe nimmt, um Genexpressionsmuster von Leukämiezellen zu regulieren. So bindet diese onkogene Variante an die Promotoren bestimmter Gene und rekrutiert in weiterer Folge Chromatin-modifizierenden Komplexe, wie etwa Histon-Methyltransferasen. Einer dieser Interaktionspartner ist der MLL1-Komplex, der für die Transkriptions-Aktivierung benötigt wird und mit der Erhaltung hämatopoetischer Stamm- und Vorläuferzellen in Zusammenhang gebracht wurde.
„Mit einer Kombination aus biochemischen, genetischen und pharmakologischen Ansätzen konnten wir nun zeigen, dass der MLL1-Histon-Methyltransferase-Komplex eine kritische Schwachstelle in AML mit CEBPA-Mutationen darstellt“, erklärt Schmidt. Globale Studien von Protein-DNA-Interaktionen zeigten, dass die Bindungsmuster der C/EBPα p30 Isoform stark mit denen des MLL1 Proteins überlappen. Dies deutet auf eine Interaktion und Kooperation dieser beiden Faktoren hin, die mittels weiterführender biochemischer Experimente auch bestätigt werden konnte.
Eine experimentell herbeigeführte Beeinträchtigung der MLL1-Komplexfunktion durch CRISPR/Cas9-vermittelte Mutagenese des MLL1-Proteins zeigte darüber hinaus, dass das Wachstum von CEBPA-mutierten AML-Zellen von der korrekten Zusammensetzung und Chromatin-Verankerung des MLL1-Komplexes abhängig ist. In Übereinstimmung mit diesen Ergebnissen reagierten AML-Zellen mit CEBPA-Mutationen hochsensitiv gegenüber einer pharmakologischen Hemmung des MLL1-Komplexes durch spezifische niedermolekulare Inhibitoren. Die MLL1-Komplexhemmung beeinträchtigte die Proliferation und verursachte das Absterben von AML-Zellen mit CEBPA-Mutationen. Die Behandlung von AML-Zellen mit CEBPA-Mutationen mit MLL1-Komplex-Inhibitoren konnte somit die Differenzierungsblockade der Krebszellen aufheben und die normale Reifung von Blutzellen wiederherstellen.
Florian Grebien, Leiter der Studie am Ludwig Boltzmann Institut für Krebsforschung und an der Vetmeduni Wien ist optimistisch: „Das Ergebnis, dass C/EBPα p30 einen funktionellen MLL1-Komplex benötigt, um onkogene Genexpressionsprogramme zu steuern, stellt eine hohe Abhängigkeit und somit eine hohe Sensitivität CEBPA-mutierter AML gegenüber der Hemmung der Funktion des MLL1-Komplexes zu Therapiezwecken dar. Diese Ergebnisse erweitern unser Verständnis von CEBPA-mutierter AML und identifizieren den MLL1-Komplex als potenziellen therapeutischen Angriffspunkt für diese Krankheit.“