Glutamatrezeptor beeinflusst, wie sich Hirnzellen entwickeln
Bisher dachte man, dass dieses Protein nur bei Erwachsenen eine Rolle spielt. Doch das stimmt nicht.
© RUB, Marquard
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler um Dr. Alexander Jack und Prof. Dr. Petra Wahle von der Arbeitsgruppe Entwicklungsneurobiologie in der Fachzeitschrift Molecular Neurobiology.
Zellaktivität wirkt sich auf das Wachstum von Dendriten aus
Sie nutzten für ihre Versuche Zellen aus dem visuellen Kortex von Ratten. Den Kulturen, die sie im Labor ansetzten, fügten sie geringe Dosen Kainsäure zu. „Wir konnten beobachten, dass dadurch Zellen, die sich noch in einem sehr jungen Stadium befanden, viel aktiver wurden“, sagt Alexander Jack. Diese gesteigerte Aktivität wirkte sich wiederum auf das Wachstum einer ganz bestimmten Gruppe von Neuronen aus, den Pyramidenzellen. Bei ihnen wuchsen vermehrt die signalaufnehmenden Fortsätze, die sich vom Zellkörper Richtung Hirnrinde verzweigen.
„Wir haben daraufhin überlegt, welche Variante des Rezeptors dafür verantwortlich ist“, so Jack. Die Untereinheit GluK2 wurde als Hauptverdächtiger in den Fokus weiterer Experimente genommen. GluK2 ist schon seit langem dafür bekannt, die Erregbarkeit einzelner Neurone zu beeinflussen und somit auch zu steuern, wie aktiv ganze Netzwerke sind.
Neuer Forschungsansatz
Diese Funktionen sind im erwachsenen Gehirn besonders für höhere kognitive Funktionen wichtig. „Die Rolle von GluK2 in der frühen Reifung der Nervenzellen wurde bislang wenig untersucht“, erklärt Alexander Jack. Die Forscher brachten die Nervenzellen dazu, die Kainatrezeptoruntereinheit GluK2 vermehrt herzustellen. Sie beobachteten, dass diese manipulierten Zellen schon in einem frühen Entwicklungszeitfenster deutlich aktiver waren als normalerweise. Wie erwartet zeigten diese Zellen ebenfalls ein erhöhtes Wachstum ihrer Fortsätze.
Außerdem testeten die Forscher erfolgreich ein natürlich vorkommendes Protein, das an der Regulation von GluK2 beteiligt ist: die Tau Tubulin Kinase 2 (TTBK2). Sie sorgt dafür, dass Kainatrezeptoren, die die Untereinheit GluK2 besitzen, aus der Membran heraus in das Innere der Zelle gebracht werden, wo sie ihre Funktion nicht ausüben können. So verhindert der Körper, dass zu viele Nervenzellen erregt werden. Menschen, bei denen das Protein TTBK2 mutiert ist, leiden an einer Bewegungsstörung, der spinocerebellären Ataxie Typ 11. Bei ihnen kommt es im Spinocerebellum, einer Region im Kleinhirn, zu einer Übererregung und die betroffenen Neurone sterben ab. In den Experimenten der RUB-Biologen führte eine Vermehrung von TTBK2 dazu, dass die Neurone weniger erregt waren und ihre Fortsätze sich weniger verzweigten – das genaue Gegenteil der Effekte, die sie durch die Anreicherung der GluK2-Rezeptoreinheit hervorriefen.