Durchbruch in der Erforschung gefürchteter Krankheitserreger

Tarnkappenstrategie multiresistenter Keime aufgedeckt

26.11.2018 - Deutschland

Forschern der Universität Tübingen und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) ist ein Durchbruch bei der Entschlüsselung multiresistenter Krankheitskeime gelungen. Das Team um Professor Andreas Peschel und Professor Thilo Stehle konnte Struktur und Funktion eines bislang unbekannten Proteins aufklären, mit dessen Hilfe sich gefürchtete Erreger wie Staphylococcus aureus gegenüber dem menschlichen Immunsystem wie mit einer Tarnkappe schützen.

Fotolia/crevis

MRSA-Bakterien (Staphylococcus aureus) machen sich mit Hilfe eines Proteins unsichtbar für das Immunsystem.

Infektionen durch Bakterien wie Staphylococcus aureus verursachen weltweit zahlreiche Todesfälle. In Krankenhäusern gefürchtet sind vor allem die gegen das Antibiotikum Methicillin resistenten Staphylococcus aureus-Stämme, kurz MRSA genannt. Nach einer Anfang November veröffentlichten Untersuchung gab es allein im Jahr 2015 in der EU rund 670.000 Erkrankungen durch multiresistente Erreger. 33.000 Patienten starben.

In aller Regel kommt unser Immunsystem mit Krankheitserregern wie Bakterien oder Viren gut zurecht. Bei manchen Keimen aber versagen die Abwehrstrategien des menschlichen Körpers, besonders bei immungeschwächten Patienten. Antibiotika sind gegen resistente Erreger leider wirkungslos. Effektive Ersatzantibiotika und ein protektiver Impfstoff gegen MRSA sind bislang nicht in Sicht. Ein genaues Verständnis der Abwehrmechanismen könnte neue Therapien gegen die Bakterien ermöglichen.

Forscher der Universität Tübingen haben nun beschrieben, wie sich MRSA-Keime für das Immunsystem unsichtbar machen. Sie konnten zeigen, dass viele der besonders häufigen MRSA-Keime ein bislang unbekanntes Protein erworben haben, das dazu führt, dass die Erreger nicht mehr durch Antikörper des Immunsystems erkannt werden. Die Tübinger Wissenschaftler gaben dem Protein den Namen TarP (kurz für teichoic acid ribitol P).

„TarP verändert das Muster von Zuckermolekülen auf der Erregeroberfläche auf eine bislang unbekannte Weise“, erklärte Professor Andreas Peschel vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen. „Dies führt dazu, dass das Immunsystem keine Antikörper gegen das wichtigste MRSA-Antigen, die Teichonsäure, bilden kann.“ Das Immunsystem werde so nicht nur „blind“. Es verliere auch die wichtigste Waffe gegen den Erreger.

Von Phagen umprogrammiert

Die Tübinger Forscher gehen davon aus, dass die bakterielle Tarnkappe das Ergebnis einer Auseinandersetzung zwischen den Krankheitserregern und ihren natürlichen Feinden, den sogenannten Phagen, ist. Als Bakteriophagen wird eine Klasse von Viren bezeichnet, die Bakterien befällt, diese als Wirtszelle nutzt und sich von ihnen ernährt. Im vorliegenden Fall haben Phagen offenbar ihren Wirt mit Hilfe des TarP-Proteins umprogrammiert und so die Oberfläche des Bakteriums verändert.

Den Erstautoren der Arbeit, David Gerlach und Yinglan Guo, gelang es, den Mechanismus und die Struktur von TarP genau aufzuklären. „Wir verstehen jetzt detailliert, wie das Protein auf der molekularen Ebene als Enzym funktioniert“, sagte Gerlach. Die Struktur-Funktionsanalyse von TarP bilde eine exzellente Basis, um neue Wirkstoffe zu entwickeln, die TarP blockieren und die Erreger wieder für das Immunsystem erkennbar machen. Besonders wichtig für den Erfolg dieser Arbeiten war ein interdisziplinärer Ansatz, an dem auch weitere Wissenschaftler aus Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden und Südkorea beteiligt waren.

„Die Entdeckung von TarP kam für uns völlig überraschend. Sie erklärt sehr gut, warum das Immunsystem oft keine Chance gegen MRSA hat“, sagte Professor Thilo Stehle vom Interfakultären Institut für Biochemie. „Die nun vorliegenden Ergebnisse werden uns helfen, bessere Therapien und Impfstoffe gegen die Erreger zu entwickeln.“ Peschel verwies auf den kürzlich bewilligten Tübinger Exzellenzcluster „Controlling Microbes to Fight Infections“ und die enge Einbindung in das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung: „Diese hervorragende Vernetzung wird uns helfen, die Erforschung von MRSA und von TarP weiter voranzutreiben.“

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