„Big Data“ auf der Intensivstation
System sagt Komplikationen nach Herzoperation voraus, noch bevor es zu ersten Symptomen kommt
(c) Maier/DHZB
Speziell geht es uns dabei um die intensivmedizinische Nachbehandlung von Patienten, die am Herzen operiert wurden. Hier gibt es eine Reihe bekannter postoperativer Komplikationen, die umso besser behandelt werden können, je früher sie erkannt werden.
Das Team der Intensivstation am DHZB verfügt zwar über die bestmöglich technische Ausstattung, Erfahrung und Expertise - dennoch gibt es Fälle, in denen Komplikationen erst spät diagnostiziert werden können, insbesondere in Phasen besonders hoher Arbeitsbelastung und angesichts einer Vielzahl unterschiedlicher Überwachungsdaten.
Das von Dr. Alexander Meyer und seinem Team entwickelte Monitoring-System setzt alle Messwerte in Echtzeit in Bezug zu einander und wertet sie hinsichtlich erster Anzeichen drohender Komplikationen aus – basierend auf der gewaltigen „Erfahrung“ der Messwerte von über 11.000 intensivmedizinischen Behandlungen am DHZB, mit denen die künstliche Intelligenz „gefüttert“ wurde.
Die Software kann so Symptome identifizieren, noch lange bevor sie für Ärzte und Pflegekräfte ersichtlich werden. Potenziell lebensbedrohliche Zustände können somit vorausgesagt und rechtzeitig durch entsprechende therapeutische Maßnahmen vermieden werden. Das System wird dabei immer besser – denn es lernt anhand immer neuer Messdaten und entsprechender Verläufe.
Das System läuft am Deutschen Herzzentrum Berlin im Testbetrieb, zunächst ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken. Anhand der dabei gewonnen Daten erfassen und bewerten Dr. Meyer und sein Team die Vorhersagequalität der künstlichen Intelligenz nun im Rahmen einer aufwändigen Studie so akkurat wie irgend möglich.
Das bisherige Fazit Dr. Meyers: „Stark vereinfacht gesagt zeigen unsere Daten, dass postoperative Komplikationen mit Hilfe der neuen Software tatsächlich früher und zuverlässiger vorausgesagt werden konnten, als es dem Menschen im klinischen Alltag möglich wäre – und dass das System immer besser wird, je mehr es lernt“.
Meyer konnte die Grundlagen und erste Ergebnisse seiner Studie jetzt in „The Lancet Respiratory Medicine“ veröffentlichen – dem Fachableger für Intensivmedizin von „The Lancet“.
„Big Data und künstliche Intelligenz haben in der Medizin großes Potenzial, bislang wurden allerdings nur wenige praktische Anwendungen entwickelt und retrospektiv evaluiert“, erklärt Dr. Meyer das Interesse der Fachwelt.
Dr. Meyer gehört zu den Studienleitern (PI) des durch das Bundesministerium für Forschung und Bildung geförderten neuen Berliner Zentrums für Maschinelles Lernen (BZML), wesentliche Punkte seiner Entwicklung sind bereits zum Patent angemeldet.
Bereits 2017 wurde Dr. Alexander Meyer in das „Clinician Scientist Program“ am Berlin Institute for Health (BIH) der Charité und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin aufgenommen.
Das Förderprogramm ermöglicht Ärztinnen und Ärzten eine strukturierte Facharztweiterbildung mit genug „geschützter Zeit“ für klinische und grundlagenorientierte Forschung. Dabei geht es vor allem um Translation, also die Umsetzung von Ergebnissen der Grundlagenforschung in der klinischen Anwendung.
Das Projekt wird außerdem durch das „Digital Health Accelerator“-Programm des BIH gefördert.
Bereits in 2019 könne das System in Serie gehen, so Dr. Meyer. „Wir können und wollen dem Intensivmediziner die Entscheidungen nicht abnehmen“, betont der Arzt: „Aber wir wollen ihm dabei helfen, die richtige Entscheidung sehr früh zu treffen – und dem Patienten damit vielleicht das Leben zu retten“.