Gene aus dem Nichts
Vorläufer von Genen entstehen permanent "aus dem Nichts" – und verschwinden meist wieder
Studien der jüngsten Zeit gaben vermehrt Hinweise darauf, dass sich neue Gene auch spontan neu bilden können, also nicht schrittweise durch kleine Veränderungen bewährter Gene entstehen. Bioinformatiker der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster untersuchten nun erstmals auch die frühesten Stadien der Entstehung dieser "Gene aus dem Nichts".

Symbolbild
DasWortgewand, pixabay.com, CC0
Die Evolution von Organismen erfolgt in kleinen Schritten – so haben die meisten Menschen es in der Schule gelernt: durch kleine genetische Veränderungen, Punktmutationen genannt. Im Laufe der Generationen treten diese Mutationen in den Kopien der bewährten Gene auf und bringen möglicherweise nützliche neue Eigenschaften mit sich. Dass vollständige neue Gene und somit neue Eigenschaften quasi aus dem Nichts entstehen, galt jahrzehntelang als undenkbar. Erst Studien der jüngsten Zeit gaben vermehrt Hinweise darauf, dass sich neue Gene auch „aus dem Nichts“ in der sogenannten nicht-codierenden DNA bilden, also in dem Teil des Erbguts, der keine Proteine erzeugt. Eine neue Arbeit untersucht nun erstmals auch die frühesten Stadien der Entstehung dieser „Gene aus dem Nichts“. Die Arbeit, die aktuell in der Fachzeitschrift „Nature Ecology and Evolution“ veröffentlicht ist, haben Bioinformatiker um Prof. Dr. Erich Bornberg-Bauer vom Institut für Evolution und Biodiversität der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) durchgeführt.
Das Team verglich mit Computeranalysen Anzahl, Länge, Position und Zusammensetzung (Nukleotid-Sequenz) von „Genen aus dem Nichts“ beim Menschen mit denen von vier anderen Säugetier-Arten: Maus, Ratte, Kängururatte und Opossum. Letzteres gehört zu den Beuteltieren, deren Evolutionslinie sich früh von dem Zweig der Höheren Säugetiere abgespalteten hat. Durch diesen Vergleich warfen die Forscher Schlaglichter auf 160 Millionen Jahre Evolution der Säugetiere. Die Wissenschafter nahmen dabei DNA-Transkripte unter die Lupe, also solche DNA-Abschnitte, die aktiv sind und als RNA-Kopie vorliegen. Genauer gesagt untersuchten die Forscher die Transkripte sogenannter offener Leserahmen. Diese Sequenzen dienen häufig als Bauanleitungen für Proteine.
„Unsere Studie zeigt: Neue offene Leserahmen, also die Kandidaten für Bauanleitungen für neue Proteine, entstehen in nicht-codierenden DNA-Regionen permanent ‚aus dem Nichts‘. Sie gehen aber genauso wie ihre Transkripte im Laufe der Evolution auch sehr schnell wieder verloren“, sagt Bioinformatiker Erich Bornberg-Bauer. Obwohl aus nur sehr wenigen dieser Kandidaten tatsächlich funktionstüchtige Gene entstehen, also solche Gene, die den Bauplan für funktionierende Proteine enthalten, bleiben einige Kandidaten zufällig über längere Zeit erhalten – allein aufgrund der enormen Anzahl an ständig neu erzeugten Transkripten. „Diese Transkripte können dann in mehreren Abstammungslinien gefunden werden“, so Erich Bornberg-Bauer. „Wahrscheinlich können sie über lange Zeiträume hinweg das Repertoire der bestehenden Proteine ergänzen und an das molekulare Wechselspiel mit diesen angepasst werden.“
Manchmal übernimmt also ein „aus dem Nichts“ entstandenes Protein eine Funktion im Organismus. „Damit haben wir auch eine Erklärung dafür, wie grundlegend neue Eigenschaften in einem Organismus entstehen können. Allein durch punktuelle Veränderungen der genetischen Struktur ist das nämlich nicht erklärbar“, so Erich Bornberg-Bauer.
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