Epilepsie: Gene wirken oft erst im Doppel-Pack

31.03.2010 - Deutschland

Bei der Entstehung von Erbkrankheiten ist die Wechselwirkung zwischen Genen wichtiger als bislang vermutet. Dies zeigt eine Studie der Universität Bonn. Einem Team aus Epidemiologen, Mathematikern und Humangenetikern ist es gelungen, unter einer Million Genschnipsel des menschlichen Erbguts eine Kombination aufzuspüren, die bei Menschen mit Epilepsie häufiger vorkommt als bei Gesunden.

Unser Gehirn funktioniert durch ein hochkomplexes Zusammenspiel von Milliarden von Nervenzellen, die über elektrische Impulse miteinander kommunizieren. Breiten sich diese Impulse unkontrolliert aus, kommt es zu einem epileptischen Anfall. Ganze Nervenzellverbände entladen sich gleichzeitig, vergleichbar der elektrischen Ausbrüche während eines Gewitters. Zuckungen von Armen und Beinen, Verkrampfungen des ganzen Körpers und der Verlust des Bewusstseins sind die Folge. Etwa ein Prozent aller Menschen leidet zeitweise oder dauerhaft an Epilepsie, 40 Prozent aller Fälle weisen eine erbliche Komponente auf.

Anders als zum Beispiel bei der Bluterkrankheit, die nur auf einem Defekt in einem einzigen Gen zurückzuführen ist, kommen die häufigen Formen der Epilepsie durch Defekte an mehreren Genen zustande. Weil aber auch noch Umwelteinflüsse wie etwa Stress eine Rolle spielen, sind die beteiligten Erbanlagen nur schwer aufzuspüren. Dennoch hat man inzwischen in genomweiten Assoziationsstudien mehrere Gene identifiziert, die anfällig für Epilepsie machen können. Gefahndet wird dabei allerdings nicht nach den Genen selbst, sondern nach Markern, sogenannten "single nucleotid polymorphism", die in Zusammenhang mit der Krankheit stehen. SNPs (sprich: Snips) sind kleine Veränderungen in einem DNA-Strang, die über das gesamte Erbgut verteilt sind. Viele Millionen SNPs ragen wie Bojen aus dem Genom-Meer und dienen den Wissenschaftlern als genetische Orientierungspunkte bei der Suche nach Gendefekten.

100 Milliarden Kombinationen möglich

Die Bonner Forscher haben in ihrer Studie nun erstmals nach SNP-Paaren Ausschau gehalten, die für das Erkrankungsrisiko der Epilepsie relevant sein könnten. Dazu untersuchten sie das Erbgut von 623 Personen, die an einer erblichen Form der Epilepsie leiden und verglichen dies mit dem Erbgut von 936 gesunden Kontrollpersonen. "Das Problem bei einer solchen Gen-Interaktionsanalyse ist die riesige Datenmenge und die daraus resultierende gigantische Zahl an Kombinationsmöglichkeiten, die wir statistisch testen müssen", sagt Prof. Max Baur vom Institut für Medizinische Biometrie, Informatik und Epidemiologie (IMBIE). So ergeben sich pro Person 100 Milliarden mögliche SNP-Paare, die in statistischen Tests auf ihr potentielles Krankheitsrisiko zu überprüfen sind. Rechner, die für genomweite Assoziationsstudien normalerweise eingesetzt werden, sind damit schlichtweg überfordert. Der paarweise Vergleich aller Kombinationsmöglichkeiten würde mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Prof. Michael Griebel und sein Team vom Institut für Numerische Simulation haben jedoch eine Methode entwickelt, mit der es möglich ist, für sämtliche SNP-Daten erkrankter und gesunder Studienteilnehmer auf ihrem Parallelrechner eine paarweise Statistik auszurechnen. Dazu wird, nach geschickter Vorverarbeitung der Daten, die gesamte Rechnung mit speziellen Algorithmen in mehrere Blöcke zerlegt und auf verschiedene Computer verteilt, die alle gleichzeitig rechnen. Eine Analyse läuft inzwischen in weniger als sieben Stunden ab.

Genorte liegen auf den Chromosomen 2 und 10

Die Mühe hat sich gelohnt, die Bonner Forscher wurden fündig: Mehrere SNP-Paare kamen häufiger bei den erkrankten Personen vor als bei den gesunden Kontrollen. Überraschend für die Wissenschaftler dabei war, dass jeder der Genschnipsel allein kein Signal nach außen abgab und bei Kranken und Gesunden zu fast gleichen Anteilen auftrat. Erst die Kombination der Genschnipsel zeigte einen Effekt und wurde vom Computer als krankheitsrelevant aussortiert. Damit können die Wissenschaftler erstmals beweisen, dass es nicht ausreicht ausschließlich nach einzelnen Gendefekten zu suchen. "Wir müssen bei der Erforschung erblich bedingter Krankheiten unser Augenmerk vielmehr auf die Wechselwirkung zwischen Genen richten", betont Prof. Thomas Wienker, Leiter des Forschungsbereichs Genetische Epidemiologie am IMBIE. Epistasis nennt man den Effekt, wenn ein Gen die Wirkung eines anderen Gens unmittelbar beeinflusst. Diese Art von Wechselwirkungen wird möglicherweise einen größeren Anteil an der genetischen Verursachung von Krankheiten erklären, als die Summe aller Einzeleffekte, auf die sich die genomweite Suche bisher konzentriert hat.

Besondere Aufmerksamkeit erregte bei den Bonner Forschern ein SNP-Paar, das weit voneinander entfernt auf zwei verschiedenen Chromosomen im Erbgut liegt und mit zwei Genen (DNER und CTNNA3) in Verbindung steht, die möglicherweise eine wichtige Rolle bei der Epilepsie spielen. Aus molekularbiologischen Untersuchungen weiß man bereits, dass beide Erbanlagen Einfluss auf Bau, Funktion und Stoffwechsel der Nervenzellen im Gehirn haben. Ob die Gene zusammen nun tatsächlich die Anfallsneigung bei Epileptikern beeinflussen, ist jedoch noch nicht geklärt. Dies soll nun in weiteren Studien am Institut für Humangenetik unter Leitung von Prof. Markus Nöthen untersucht werden.

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