Genrekombination deaktiviert Retroviren während ihres Einschleusens in Wirtsgenome

09.08.2018 - Deutschland

Im Erbgut der meisten Wirbeltiere finden sich erstaunlich viele virale Gensequenzen – beim Menschen etwa acht Prozent. Aber wie gelingt es, von außen eindringenden – sogenannten exogenen Viren - dauerhaft Teil des Wirtsgenoms zu werden? Antworten auf diese Frage liefert die Studie eines internationalen Forscherteams um Alex Greenwood vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Berlin.

Holgi, pixabay.com, CC0

Am Beispiel der Koalas zeigte das Forscherteam, welche Schritte im Wirtsgenom notwendig sind, damit sich exogenen Retroviren in das Erbgut ihres Wirtes schreiben können. Das Team entdeckte dabei einen Mechanismus, mit dem das Wirtsgenom den Eindringling unschädlich macht.

Retroviren schreiben mit Hilfe des Enzyms Reversible Transkriptase ihre RNA-Genome in DNA um. Auf diese Weise können ihre Gene in das Genom des Wirtes integriert werden. Wenn es ihnen gelingt, auch Keimzellen zu infizieren, dann vererbt der infizierte Wirt die viralen Sequenzen auch an seine Nachkommen. Bei der Sequenzierung des menschlichen Genoms zeigte sich, dass rund acht Prozent davon aus Sequenzen von humanen endogenen – im inneren des menschlichen Erbguts befindlichen – Retroviren, den Humanen Endogenen Retroviren (HERVs) bestehen. Die meisten HERVs sind durch Rekombinationen in ferner Vergangenheit und spätere Mutationen längst inaktiv. Manche virale Sequenzen werden jedoch noch immer aktiv abgelesen und codieren für Proteine. Es wird vermutet, dass sie Auslöser von Krebs und Autoimmunkrankheiten sind.

Wie alle Säugetiere und Vögel wurden auch unsere Vorfahren bereits vor Millionen Jahren von diesen Viren infiziert. „Die ursprünglichen Viren sind längst ausgestorben und ihre in der Keimbahn der Wirte integrierten Sequenzen haben sich durch Mutation inzwischen so stark verändert, dass es heute sehr schwierig ist, nachzuvollziehen, welche Änderungen wichtig waren“, erklärt Alex Greenwood, Leiter der Abteilung Wildtierkrankheiten am Leibniz-IZW, Professor an der Freien Universität und Seniorautor der Studie. „Bei den Koalas lässt sich der Prozess quasi live verfolgen, denn er findet gerade jetzt statt und ist noch nicht abgeschlossen.“

Für die Sequenzierung des Koalagenoms (kürzlich publiziert in Nature Genetics), an der die IZW-Forscher ebenfalls beteiligt waren, wurde eine besondere Hochdurchsatz-Sequenzierungsmethode (long-read sequencing) eingesetzt. Sie ermöglichte es, sich wiederholende DNA-Abschnitte korrekt zu identifizieren, zu denen auch die Sequenzen von Retroviren häufig gehören und die die Retroviren flankierenden Gensequenzen des Wirtsgenoms zu bestimmen, um so den Prozess ihrer Einschleusung exemplarisch an diesem Beuteltier zu erforschen. Für die aktuelle Studie untersuchte das Team DNA-Proben von 169 wildlebenden Koalas sowie von zwei Zoobewohnern und sechs historische Proben aus Museen.

Bereits beim Koala-Genomprojekt und anderen früheren Studien war entdeckt worden, dass der Anteil endogener Koala-Retroviren (KoRV) regional sehr unterschiedlich ist, was sich durch natürliche Barrieren entlang Australiens Ostküste erklären lässt. Sie verhindern die Vermischung der Populationen und somit auch die ungehinderte Ausbreitung des Virus. So sind im Nordosten in Queensland bereits alle Tiere infiziert. Je weiter südlich die Forscher gingen, umso geringer war der Gehalt an KoRVs pro Koala.

Bereits bei Koalas aus bisher wenig infizierten Populationen fanden die Wissenschaftler gegenüber dem intakten Virus stark veränderte virale Sequenzen (recKoRV) im Koalagenom. Diese Sequenzen scheinen das Ergebnis von Rekombinationen mit schon sehr alten (und auch bei anderen australischen Beuteltieren vorkommenden) viralen Genomelementen zu sein.

Was folgt daraus? „Wir denken, dass die ersten, uralten Viruskomponenten, die im Koalagenom fixiert sind und nicht länger krankheitsauslösend sind, das Wirtserbgut verteidigen: Durch Rekombination setzen sie neue Virussequenzen außer Gefecht. Und zwar selbst dann, wenn die uralten integrierten Viren kaum noch Ähnlichkeit mit ihrem ursprünglichen Ausgangszustand aufweisen“, sagt Alex Greenwood. „Das ist super für die Koalas! Denn solch rekombinierte Virussequenzen sind meist ungefährlicher als das Original.“

Außerdem müssen 17 unabhängige Rekombinationsereignisse zwischen KoRV und einem alten, degradierten Virusfragment (PhER) stattgefunden haben – und zwar ausschließlich zwischen KoRV und PhER. Eine dieser Rekombinanten (recKoRV1) ist unter den Koalas sehr gängig und existiert in mehrere Kopien pro Tier. Das lässt vermuten, dass recKoRV1 mehrfach unabhängig und zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sein muss.

„Aber unabhängig davon, aus welcher Region Australiens die Probe stammte: Einige Sequenzen des endogenen KoRV waren rekombiniert und stark degradiert. Wir gehen deshalb davon aus, dass dieser Prozess ein sehr früher Schritt bei der Endogenisierung exogener Retroviren ist“, sagt Alex Greenwood.

Originalveröffentlichung

Löber U, Hobbs M, Dayaram A, Tsangaras K, Jones K, Alquezar-Planas DE, Ishida Y, Meers J, Mayer J, Quedenau C, Chen W, Johnson RN, Timms P, Young P, Roca AL, Greenwood AD; "Degradation and remobilization of endogenous retroviruses by recombination during the earliest stages of a germ line invasion"; PNAS; 2018.

Johnson RN et al.; "Adaptation and conservation insights from the koala genome"; Nature Genetics; 2018; 50, 1102–1111.

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