Die Fabrik zum Mitnehmen

Modulares und intelligent vernetztes Fertigungssystem auf kleinster Fläche

06.07.2018 - Deutschland

Künftig können Unternehmen flexibel an Standorten direkt in Kundennähe produzieren. Eine komplette, automatische Produktionslinie steckt in einem Container und lässt sich per Lkw schnell an jeden beliebigen Ort verfrachten– bei medizinischen Produkten etwa in die Nähe der Klinik. Fraunhofer-Forscher haben die mobile Fabrik gemeinsam mit Partnern im EU-Projekt CassaMobile entwickelt.

© Fraunhofer IPA

Aufstellung des Containers auf dem Campus.

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Blick ins Innere: modulares und intelligent vernetztes Fertigungssystem auf kleinster Fläche.

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Schon wieder zu spät dran, die S-Bahn fährt ein. In der Hektik gestolpert – das Bein ist kompliziert gebrochen. Eine Operation steht an, die Knochen müssen verschraubt werden, um wieder zusammenzuwachsen. Vielfach setzen die Chirurgen dabei auf Knochenbohrschablonen, die individuell für den Patienten angefertigt werden. Sie helfen dem Chirurgen dabei, die Schrauben optimal zu platzieren. Da die Knochenbohrschablonen an wenigen Standorten gefertigt werden, kann es bis zu einer Woche dauern, bevor sie im jeweiligen Krankenhaus ankommen.

Deutlich kürzere Lieferzeiten

Künftig soll dies schneller gehen, denn dann lassen sich diese Schablonen nah am Endandwender herstellen – etwa in der Nähe der Krankenhäuser. Möglich macht es eine mobile Fabrik namens »CassaMobile«, die zwölf europäische Unternehmen und Institute unter Federführung des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA im gleichnamigen EU-Projekt entwickelt haben. Auch die Idee und das Konzept stammen aus dem Fraunhofer IPA. »Über die mobile Fabrik lässt sich die Lieferzeit von bis zu einer Woche auf zwei Tage verkürzen«, sagt Raphael Adamietz, Projektleiter am IPA. Das italienische Wort »CassaMobile« heißt nichts anderes als »Container«. Zwar sieht der grün-weiße Container von außen unscheinbar aus, doch der Eindruck täuscht: In seinem Inneren verbirgt sich eine intelligente Minifabrik. In ihr lassen sich beispielsweise Knochenbohrschablonen als 3D-Druck fertigen, in einer Fräse nachbearbeiten, qualitativ überprüfen und steril verpacken.

Per Lkw transportieren, Stecker einstecken und produzieren

Für die Herstellerfirmen bietet die mobile Fabrik verschiedene Vorteile. Zum einen die große Flexibilität: Die Abmessungen des Containers haben die Forschenden bewusst so gewählt, dass er gerade noch ohne Eskorte über die Straßen gefahren werden kann. Die Unternehmen brauchen ihr Equipment nur einmal anzuschaffen und können es dort einsetzen, wo sie es benötigen – somit sparen sie Geld und schonen die Umwelt. Vor Ort kann es dann sofort losgehen: Der Container wird voll ausgestattet zu seinem Bestimmungsort transportiert, dort braucht er dann nur noch Strom, Wasser und Druckluft.

Da in direkter Kundennähe gefertigt werden kann, verkürzen sich die Lieferzeiten deutlich. Dies könnte mehr Absatz bewirken: Denn dauert die Lieferung zu lang, entscheidet sich der eine oder andere vielleicht doch für ein schneller verfügbares Produkt. Die Ärzte greifen dann auf andere, vielleicht weniger optimale Methoden zurück.

Flexibilität durch modularen Aufbau

Man kann auch andere maßgeschneiderte Produkte innerhalb kürzester Zeit direkt vor Ort herstellen – schließlich haben die Forscher die Fabrik bewusst modular aufgebaut. Die Prozesskette lässt sich flexibel ändern oder erweitern, einzelne Module können auch weggelassen werden. So ist die mobile Fabrik beispielsweise nach Erdbeben in Katastrophengebieten einsetzbar. Direkt vor Ort produziert sie die Bauteile, die das Technische Hilfswerk dringend benötigt – etwa um die Trinkwasserversorgung wiederherzustellen. Denkbar sind auch Produktionen in Gegenden, in denen es sehr aufwändig wäre, eine Fabrik aufzubauen, da es an passenden Gebäuden und der nötigen Infrastruktur hapert. Bei CassaMobile hat man schließlich seine eigene, komplette Infrastruktur parat und könnte beispielsweise in Afrika Autoersatzteile produzieren, die dort Mangelware sind.

Kernstück: 3D-Drucker

Das Kernmodul der Produktionsanlage ist der 3D-Drucker, der am IPA entwickelt wurde. »Für den Druck kombinieren wir zwei Materialien: Für das Bauteil selbst verwenden wir üblicherweise Polyamid. Die Stellen, an denen wir später kein Material haben wollen, füllen wir zunächst mit einem Supportmaterial, das wir anschließend in einem Lösungsmittel auflösen«, erläutert Adamietz. Auf diese Weise können die Forscher dreidimensionale freigeformte Strukturen herstellen. Die Druckmaterialien liegen dabei als aufgerollte Kunststoffschnur vor. Diese wird aufgeschmolzen und linienförmig auf dem Substrat abgelegt. Damit die Oberfläche homogen und das Bauteil maßhaltig wird, heizen die Forscher auch den Bauraum auf.

Eine Kamera überwacht den gesamten Druckvorgang und hilft, Fehler sofort zu korrigieren. Das reduziert Ausschuss, verbessert die Qualität und spart aufwändige manuelle Kontrollen. Die produzierten Bauteile sind daher bereits sehr exakt. Sollte eine Oberfläche einmal nicht ideal sein, kann sie über ein Fräsmodul nachbearbeitet werden. Sind sterile Produkte gefordert wie bei der Knochenbohrschablone, so wird das Produkt nass gereinigt, mit Wasserdampf sterilisiert und steril verpackt. Damit die Luft im Container rein ist und bleibt, wird sie ständig umgewälzt und durch Luftfiltereinheiten gedrückt, die Verunreinigungen herausfischen. Ein zentraler Rechner verbindet alle Komponenten und steuert das gesamte Produktionssystem.

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