Neuer Tuberkulose-Wirkstoff geht in die klinische Erprobung
Wissenschaftler zweier Forschungsverbünde und Unternehmen schließen sich hierfür zusammen
Florian Kloß/HKI
In den letzten Jahrzehnten hat sich das Problem der Antibiotikaresistenz weltweit dramatisch verschärft. Wir stehen heute vor der Herausforderung, dass es immer mehr resistente Keime gibt, gegen die nur noch wenige Antibiotika helfen. Im Falle der Tuberkulose ist die Situation besonders schwierig, denn für ihre Behandlung müssen stets mehrere Antibiotika gleichzeitig verabreicht werden. Hinzu kommt, dass die Tuberkuloseerreger immer öfter gegen diese Antibiotika resistent sind. Um neue Therapieformen zu entwickeln, werden daher dringend mehrere neue Wirkstoffe benötigt, idealerweise mit unterschiedlichen Wirkmechanismen.
Wirkstoff trifft gezielt neuen Angriffspunkt am Erreger
BTZ043 gehört zu einer neuen Antibiotikaklasse, den Benzothiazinonen. Als erster Vertreter dieser Substanzfamilie erlangte BTZ043 für seine Wirkung gegen den Tuberkuloseerreger weltweiten Patentschutz. „Der Wirkstoff bindet irreversibel an ein Enzym, das die Mykobakterien – die Erreger der Tuberkulose – zum Aufbau der Bakterienzellwand benötigen“, erklärt Dr. Florian Kloß, Leiter der InfectControl 2020-geförderten Transfergruppe Antiinfektiva am Leibniz-HKI. „Dieses Enzym kann dadurch nicht mehr arbeiten, in den Zellwänden der Mykobakterien entstehen Löcher und sie laufen aus“, ergänzt DZIF-Wissenschaftler Prof. Michael Hoelscher, Direktor des Tropeninstituts der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dieser Angriff auf die Tuberkuloseerreger ist so gezielt, dass BTZ043 nur die Erreger, nicht aber andere für uns wichtige Bakterien bekämpft.
Klinische Studie testet Verträglichkeit
Nach Genehmigung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und der Ethikkommission der Bayerischen Landesärztekammer können nun die ersten Probanden für die klinische Erprobung von BTZ043 rekrutiert werden. Unter Leitung von Prof. Hoelscher werden bis zu 40 freiwillige Teilnehmer das Antibiotikum am Studienzentrum der Firma Nuvisan in Neu-Ulm erhalten. „Wir wollen sicherstellen, dass das Medikament im Körper gut aufgenommen und vertragen wird. Hierzu wird einmalig eine sehr geringe Dosis verabreicht, die dann bei den nächsten Probanden Schritt für Schritt erhöht wird“, erklärt Hoelscher das Vorgehen. Ziel der Studie ist es, die Dosierung zu erreichen, die im Tiermodell eine gute Wirksamkeit gezeigt hat. Diese wirksame Dosis liegt weit unter der Höchstmenge, die an Tieren getestet und noch gut toleriert wurde.
Gemeinsam gegen Infektionen
Ein Team aus Wissenschaftlern und Unternehmern ist an der Entwicklung des neuen Tuberkulosemedikaments beteiligt. Der Wirkstoff BTZ043 wurde am Leibniz-HKI in Jena entdeckt. Seit 2014 kooperieren das Leibniz-HKI und das Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München unter anderem im Konsortium InfectControl 2020 und im DZIF gemeinsam zur Weiterentwicklung des Medikaments. Das Leibniz-HKI ist für die Entwicklung der analytischen Nachweismethoden und die präzise Untersuchung der Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechselung und Ausscheidung im Tierversuch und beim Menschen zuständig. Als Sponsor ist das Klinikum der LMU für die präklinische und klinische Entwicklung sowie die Qualität und Sicherheit des Arzneimittels verantwortlich. Die Herstellung der hochwirksamen Substanz erfolgt bei einem mittelständischen pharmazeutischen Unternehmen, der Hapila GmbH in Gera. Das Unternehmen entwickelt darüber hinaus das Herstellungsverfahren nach allen einschlägigen Vorgaben des Arzneimittelrechts sowie international geltenden Vorschriften und wird hierfür durch den Freistaat Thüringen gefördert. Die mehrere Millionen Euro teure Medikamentenentwicklung ist nur durch gemeinsame Finanzierung von öffentlicher und privater Hand möglich: Insbesondere die beiden Forschungsverbünde InfectControl 2020 und DZIF sind an der Wirkstoffentwicklung beteiligt. Beide sind vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierte Programme zur Förderung der Antibiotika- und Infektionsforschung in Deutschland.
Prof. Axel Brakhage, Direktor des Leibniz-HKI und Lehrstuhlinhaber an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, begleitet die Entwicklung des Wirkstoffes seit seiner Entdeckung: „Es bedarf immenser finanzieller und organisatorischer Anstrengungen, wenn öffentlich finanzierte Institutionen in die Medikamentenentwicklung einsteigen. Die bedrohliche Ausbreitung multiresistenter Erreger macht es jedoch absolut erforderlich, der Industrie auf diesem wenig lukrativen Weg entgegenzugehen. Dank der in InfectControl 2020 geförderten Transfergruppe und unserer Partner vom DZIF am Klinikum der Universität München haben wir bereits viele Erfahrungen gesammelt, die wir auch auf künftige Entwicklungsprojekte übertragen können“, so Brakhage.