Verjüngung der Zellkraftwerke durch Reprogrammierung
Humane embryonale Stammzellen können sich zu jeder Zellart des Organismus entwickeln. Dadurch wird es möglich, dass aus einer einzigen befruchteten Zelle ein vollständiger Organismus mit hochspezialisierten Geweben und Organen wie Nerven, Muskeln oder Leberzellen entsteht. Durch die Verwendung von menschlichen Stammzellen hoffen Mediziner, künftig verletzte oder kranke Organe heilen oder sogar ersetzen zu können. Die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus menschlichen Embryonen ist jedoch ethisch bedenklich. Große Erwartungen knüpfen sich daher an die Verwendung sogenannter "induzierter pluripotenter Stammzellen" (iPS-Zellen). Dies sind erwachsene Körperzellen, in denen bestimmte "schlafende" Gene wieder aktiviert werden. Die Zellen verwandeln sich erneut in Stammzellen und bekommen die Fähigkeit zurück, sich zu anderen Geweben bzw. Zellarten zu spezialisieren. Bislang ist jedoch noch unklar, ob auch die biochemischen Abläufe im Inneren der iPS-Zellen den embryonalen Stammzellen entsprechen, oder ob es sich bei ihnen tatsächlich um "alte" Zellen handelt.
Die Alterung von Zellen wird von verschiedenen Faktoren beeinflußt. Ein wichtiger Bereich betrifft die Entstehung und den Abbau sogenannter freier Radikale. Dabei handelt es sich um extrem reaktionsfreudige Moleküle, die ständig innerhalb der Mitochondrien gebildet und z.B. für die Infektionsabwehr des Organismus benötigt werden. In großer Menge können sie aber auch Schäden in den Zellen verursachen, die als Teil des Alterungsprozesses angesehen werden. Mitochondrien stellen die Energiekraftwerke der Zelle dar. Jede Zelle enthält eine Reihe eigenständiger kleiner Zellorgane (Organellen). Im Unterschied zu allen anderen Organellen besitzen die Mitochondrien jedoch eine eigene, von dem zellulären Erbgut unabhängige DNA und stellen damit einen Mikrokosmos innnerhalb der Zelle dar. Bei der Reprogrammierung wird jedoch nur das zelluläre Erbgut beeinflusst, die Mitochondrien-DNA ist von den Änderungen nicht betroffen.
"Vor einer möglichen klinischen Verwendung von iPS-Zellen müssen wir wissen, ob und wie sich die Mitochondrien der iPS-Zellen von den Mitochondrien embryonaler Stammzellen unterscheiden", erläutert James Adjaye, Leiter der Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, in welcher diese Arbeiten durchgeführt wurden. Die Forscher stellten daher iPS-Zellen her und verglichen ihre Mitochondrien mit denen embryonaler Stammzellen. "Wir konnten zum ersten Mal beweisen, dass iPS Zellen und embryonale Stammzellen ähnliche Mitchondrien aufweisen", so Adjaye. "Die Organellen haben vergleichbare Eigenschaften und verhalten sich ähnlich. Interessanterweise ändert sich durch den Reprogrammierungsprozess sogar das Aussehen der Mitochondrien. Die in den erwachsenen Zellen länglichen Organellen werden rundlich, wie die Mitochondrien in jungen Embryonalzellen."
Die Arbeit zeigt erstmalig, dass bereits erwachsene Mitochondrien durch den Reprogrammierungsprozess verjüngt werden und daraufhin den Mitochondrien embryonaler Stammzellen ähneln. Die Wissenschaftler hoffen, dass ihre Erkenntnisse wertvolle Impulse vor allem für die Entwicklung neuer Therapieformen gegen Krebs und neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimen geben werden.
Originalveröffentlichung: Prigione A., Fauler B., Lurz R., Lehrach H., Adjaye J.; "The Senescence-Related Mitochondrial / Oxidative Stress Pathway is Repressed in Human Induced Pluripotent Stem Cells"; Stem Cells. 2010 Mar 3