Grippe mit Langzeitfolgen?
Manche Grippeviren beeinträchtigen das Gehirn von Mäusen noch Monate nach der Infektion
TU Braunschweig/Martin Korte
„Es ist bekannt, dass das Gehirn auf Infekte reagiert, aber bisher hat noch niemand untersucht, was danach passiert“, sagt der TU-Braunschweig-Forscher Prof. Martin Korte. Dabei wisse man schon seit vielen Jahren, dass sich gerade ältere Menschen oft nur schwer von einer Grippe erholten und noch längere Zeit danach desorientiert sein können. Virusinfektionen stehen zudem im Verdacht, verschiedene neurologische Erkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit und Depressionen auslösen oder fördern zu können.
Um mehr über mögliche Langzeitfolgen für das Gehirn herauszufinden, haben die TU-Forscherinnen Dr. Kristin Michaelsen-Preusse und Dr. Shirin Hosseini das Lern- und Erinnerungsvermögen sowie die Gehirnstrukturen von Mäusen untersucht, die zuvor mit verschiedenen Influenza-A-Virentypen infiziert worden waren: mit dem H1N1-Erreger, ähnlich dem Verursacher der Spanischen Grippe vor 100 Jahren, dem H3N2-Virus, Auslöser der Hongkonggrippe 1968, und der Subtyp H7N7, der zurzeit vor allem Vögel gefährdet aber als möglicher Ausgangserreger für eine Pandemie gilt.
Die Testmäuse zeigten noch 30 Tage nach Infektionen mit H7N7- und H3N2-Viren Einschränkungen bei Lern- und Gedächtnisaufgaben sowie strukturelle Veränderungen an Nervenzellen Gehirn, zum Beispiel eine kleinere Synapsenzahl. Erst nach 120 Tagen waren keine Veränderungen mehr messbar. „Auf die Lebenserwartung eines Menschen hochgerechnet, würde der Erholungsprozess einige Jahre dauern“, sagt Michaelsen-Preusse. Besonders erstaunt waren die Forscher darüber, dass auch der Stamm H3N2 Nachwirkungen hatte, obwohl er gar nicht im Gehirn aktiv ist. Der H1N1 Virus dagegen, ebenfalls nicht gehirngängig, hatte keine Langzeitfolgen.
Die Studie wurde unter strengen Sicherheits- und Tierschutzauflagen durchgeführt und vom Land Niedersachsen, von der VolkswagenStiftung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft finanziell unterstützt.
Für die Untersuchungen wurde mit 180 Mäusen gearbeitet. Die infizierten Nagetiere mussten zum Beispiel nach ein paar Trainingseinheiten eine mit Wasser bedeckte Plattform finden. Zudem untersuchten die Forscherinnen die Gehirne getöteter Tiere, 30, 60 und 120 Tage nach der Infektion. Dabei hatten sie vor allem den Hippocampus im Visier, also die Hirnregion, die für Lernprozesse und Erinnerungen zuständig ist. Sie stellten fest, wie und wo die Nervenzellen auf elektrische Impulse reagierten und ermittelten auf Mikroskopbildern die Zahl der Synapsen sowie die Dichte der Mikrogliazellen, die Immunzellen des Gehirns.
„Mikrogliazellen sind so etwas wie der Hausmeister im Gehirn. Sie scannen ständig ihre Umgebung und sorgen für Ordnung, entfernen zum Beispiel die Reste abgestorbener Zellen“, erklärt Michaelsen-Preusse. Im Fall von Infektionen können sie zu Soldaten werden, die den Feind bekämpfen, dabei aber in einer Art Überreaktion auch Nervenzellen schädigen. Die Forscherinnen und Forscher vermuten deshalb, dass bestimmte Immunreaktionen, auch wenn sie gar nicht im Gehirn stattfinden, über Botenstoffe bis ins Gehirn schwappen und dort eine überschießende Aktivität der Mikrogliazellen auslösen können.
Die Ergebnisse könnten Projektleiter Korte zufolge auch für die Medizin von Bedeutung sein, etwa als weiteres Argument für Grippeimpfungen. „Außerdem zeigen sie, dass es sinnvoll sein könnte, die Aktivität der Mikrogliazellen pharmakologisch zu unterdrücken“, sagt er. Das müssten allerdings weitere Experimente erst zeigen. Auch ob eine Grippeimpfung die Folgen der Immunattacke im Gehirn tatsächlich verhindern kann, will das Team noch prüfen. Zudem sollen die Untersuchungen mit älteren Mäusen wiederholt werden. Die Tiere für die veröffentlichte Studie waren zu Beginn der Untersuchungen nur zwei Monate alt.
Schon seit einiger Zeit erforscht Kortes Team außerdem, ob auch bakterielle Infektionen langfristig Spuren im Gehirn hinterlassen können. „Es deutet einiges daraufhin“, verrät der Wissenschaftler. Die Ergebnisse einer umfangreichen Studie dazu wollen die Forscher in den kommenden Monaten präsentieren.
Originalveröffentlichung
Journal of Neuroscience; 26.02.2018