Unterschätzte Gefahr: Mikroplastik auf dem Trockenen
Anderson Abel de Souza Machado
Dass Mikroplastik die Weltmeere verschmutzt und schädlich auf Küsten- und marine Lebensräume wirkt, ist mittlerweile bekannt. Doch wie beeinflussen kleinste Plastikteile die Ökosysteme „auf dem Trockenen“?
Mit dieser Frage beschäftigt sich die vom IGB und der Freien Universität Berlin initiierte Untersuchung, die bisherige Einzelstudien zum Thema Mikroplastik in Bezug auf terrestrische Ökosysteme auswertet. „Zwar gibt es bislang wenig Forschung auf diesem Gebiet, doch die vorliegenden Ergebnisse sind alarmierend: Kleinste Plastikteilchen sind praktisch überall auf der Welt vorhanden und können verschiedenste Beeinträchtigungen auslösen. Die bisher beobachteten Effekte von Plastikpartikeln in Mikro- und Nanogröße auf terrestrische Ökosysteme weltweit lassen darauf schließen, dass auch diese stark gefährdet sind“, erklärt IGB-Forscher Anderson Abel de Souza Machado, Leiter der Studie. Dass Mikroplastik schädlich für Ökosysteme ist, etwa wenn es von Schlüsselorganismen in Seen aufgenommen wird, zeigten IGB-Forschende bereits in früheren Arbeiten.
Weltweit werden jährlich mehr als 400 Millionen Tonnen Plastik produziert. Schätzungsweise ein Drittel allen Plastikmülls findet dabei seinen Weg in Böden oder Binnengewässer. Ein Großteil dieser Plastikteile zerfällt in Partikel kleiner als fünf Millimeter, also in Mikroplastik, und weiter in Nanopartikel mit einer Größe von weniger als 0,1 Mikrometer. Die Verschmutzung durch Mikroplastik an Land ist dabei viel größer als in den Meeren – sie wird je nach Umgebung auf das vier- bis 23-fache geschätzt. Ein wichtiger Faktor zur Verbreitung von Mikroplastik ist beispielsweise Abwasser. 80 bis 90 Prozent der darin enthaltenen Partikel, etwa von Kleiderfasern, verbleiben im Klärschlamm. Dieser wird häufig als Dünger auf Felder ausgebracht, wodurch jährlich viele Tausend Tonnen Mikroplastik auf unseren Böden landen.
Mikroplastik kann Eigenschaften aufweisen, die unmittelbar schädigend für Ökosysteme sein können. So können die Oberflächen kleinster Plastikteile mit krankheitserregenden Organismen angereichert sein und als Vektor fungieren, also die Krankheiten in die Umwelt transportieren. Mikroplastik kann auch mit der Bodenfauna interagieren und deren Gesundheit sowie die Bodenfunktion beeinträchtigen. So bauen etwa Regenwürmer ihre Höhlen anders, wenn sich Mikroplastikteile im Boden befinden, was sowohl die Körperfunktionen des Regenwurmes als auch die Bodenbeschaffenheit verändert.
Generell gilt: Wenn Plastikpartikel zerfallen, gewinnen sie neue physikalische und chemische Eigenschaften, mit denen auch die Gefahr wächst, dass sie toxisch auf Organismen wirken. Und je breiter die Möglichkeiten schädlicher Wirkungen sind, umso größer ist die Zahl potenziell betroffener Arten und ökologischer Funktionen. Besonders problematisch sind chemische Effekte bei der Zersetzung, wie das Autorenteam um Anderson Abel de Souza Machado feststellte. So treten aus den Plastikpartikeln Additive wie Phthalate und Bisphenol A aus. Diese sind für ihre hormonellen Wirkungen bekannt und können bei Wirbeltieren ebenso wie bei einigen Wirbellosen zu Störungen des Hormonsystems führen. Außerdem können Teilchen in Nanogröße Entzündungen auslösen, Zellbarrieren überwinden oder verändern und sogar besonders selektive Membranen wie die Blut-Hirn-Schranke oder die Plazenta überwinden. Innerhalb der Zelle können sie unter anderem Änderungen der Genexpression und biochemische Reaktionen auslösen. Welche langfristigen Effekte dies hat, ist noch nicht hinreichend untersucht. Zumindest für Fische wurde bereits nachgewiesen, dass sich Nanoplastik nach Passieren der Blut-Hirn-Schranke verhaltensändernd auswirkt.
Auch der Mensch nimmt Mikroplastikteile über die Nahrung auf: Diese wurden bereits in Fischen und Meeresfrüchten, aber auch in Salz, Zucker und Bier gefunden. Die Akkumulation von Plastik in Lebewesen könnte bei Landlebewesen bereits überall verbreitet sein, vermuten die Forschenden, sogar bei solchen, die ihre Nahrung nicht „einnehmen“. So können sich kleinste Plastikteile auch in Hefen und Faserpilzen anhäufen.
Die Ein- und Aufnahme kleiner Mikroplastikteile könnte sich als neuer Langzeit-Stressfaktor für die Umwelt erweisen. Für eine genauere Bestandsaufnahme fehlen bislang allerdings standardisierte Methoden zur Erfassung von Mikroplastik in terrestrischen Ökosystemen, und es ist oft schwierig und arbeitsaufwändig, kleinste Plastikteile etwa in Böden nachzuweisen.
Die neue IGB-Studie zeigt, wie wichtig belastbare, wissenschaftlich fundierte Daten zum Abbauverhalten und zu den Effekten von Mikroplastik sind, um der Verunreinigung durch Mikroplastik und ihren Gefahren für terrestrische Ökosysteme – wo immerhin der allergrößte Teil des in die Umwelt eingetragenen Plastikmülls anfällt – wirksam begegnen zu können.