Hormonerkrankungen durch Weichmacher
"Phthalate können durch Kontakt mit Blut oder Infusionslösungen leicht aus dem Kunststoff herausgelöst werden, da sie nicht fest an diesen gebunden sind", sagt Dr. rer. nat. Holger M. Koch vom Kompetenz-Zentrum Toxikologie des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung in Bochum. So können beispielsweise Frühgeborene in intensivmedizinischer Behandlung, bei der eine besonders große Zahl an Infusionen notwendig ist, Di(2-ethylhexyl)phthalat (DEHP) in Konzentrationen aufnehmen, die in Tierversuchen schädlich wirken. Magensaft-resistente Kapselüberzüge oder Nahrungsergänzungsmittel können Dibutylphthalat (DBP) enthalten. Nehmen Schwangere solche Präparate ein, kann dies bereits im Mutterleib zu Störungen der sexuellen Entwicklung von männlichen Nachkommen führen: Phthalate beeinflussen die Testosteron-gesteuerten Entwicklungsstufen negativ, indem sie seine Synthese stören. Die Folge im Erwachsenenalter kann eine verminderte oder fehlende Fruchtbarkeit der betroffenen Männer sein.
Phthalate werden in großen Mengen industriell erzeugt und als Weichmacher für Kunststoffe wie PVC oder synthetisches Gummi verwendet. Bei bestimmten Phthalaten gibt es Hinweise auf schädliche Wirkungen beim Menschen. Diese sind von der EU in Kosmetika oder Kinderspielzeug verboten. In Lebensmittelverpackungen sind inzwischen geringere Grenzwerte als früher vorgeschrieben. In vielen Medizinprodukten wie Blutbeuteln, Infusionsbeuteln, Schläuchen oder Kathetern sind jedoch nach wie vor hohe Konzentrationen von 30 bis 40 Prozent enthalten. Sie beeinflussen das menschliche Hormonsystem und gehören deshalb zu den sogenannten Endokrinen Disruptoren.
Mehrere deutsche und US-amerikanische Studien haben bereits endokrin aktive Phthalate im menschlichen Urin der Allgemeinbevölkerung nachgewiesen. "Die aufgenommenen Mengen übersteigen zum Teil die empfohlenen Obergrenzen", betont Koch. Zudem zeigen aktuelle Studien der amerikanischen Umweltbehörde (US EPA), dass sich unterschiedliche Phthalate auch in geringerer Konzentration in ihrer schädigenden Wirkung addieren.
"Wichtig angesichts dieser Erkenntnisse ist, dass Phthalat-haltige Medizinprodukte durch Phthalat-freie ersetzt werden", fordert Professor Dr. med. Helmut Schatz, Mediensprecher der DGE, Bochum. Nun ist es zumindest möglich, DEHP-haltige Medizinprodukte zu erkennen: Sie müssen EU-weit seit dem 21. März 2010 gekennzeichnet werden. Auf Grund der potenziell schädigenden Wirkung sollten Kliniken auf Medizinprodukte umstellen, die kein DEHP oder DBP enthalten.
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