Neue Strategien gegen Influenza
Forschungsergebnisse von Berliner Wissenschaftlern zeigen jetzt neue Ansatzpunkte für die Grippetherapie auf
Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie / Volker Brinkmann
Grippeviren benötigen für ihre Vermehrung mehrere Hundert menschliche Proteine
Grippeviren hängen bei ihrer Vermehrung stark von den Proteinen der infizierten Zelle ab; die meisten davon waren allerdings bisher nicht im Zusammenhang mit Influenza bekannt. Die Wissenschaftler haben sich einer neuen Technologie, der sogenannten "RNA Interferenz", bedient, um damit im automatisierten Verfahren jedes einzelne Gen des Menschen gezielt zu hemmen und die Bildung einzelner Proteine zu verhindern. Anschließend wurden die Zellen mit Influenzaviren infiziert und auf die verbliebene Vermehrungsfähigkeit der Viren getestet. Dieses systematische Vorgehen ermöglichte es den Max-Planck-Forschern Alexander Karlas, Nikolaus Machuy sowie Thomas F. Meyer gemeinsam mit weiteren Kollegen unter den zirka 24.000 Genen des Menschen insgesamt 287 Wirtszellfaktoren aufzuspüren, die bei der Virusvermehrung beteiligt sind.
Viele der identifizierten Proteine sind für unterschiedliche Influenzaviren gleichermaßen bedeutsam, darunter auch das neue pandemische H1N1 Virus. In Zusammenarbeit mit Thorsten Wolff vom Robert Koch-Institut wurden auch hoch-gefährliche H5N1 Influenzaviren ("Vogelgrippeviren") untersucht, die ebenfalls von den identifizierten humanen Genen abhängig waren.
Mögliche Anwendungen für die Therapie gegen Influenza
Die jetzt neu gefundenen Wirtszellfaktoren, die für das Zustandekommen und den Verlauf von Influenzainfektionen unerlässlich sind, werden nun am Max-Planck-Institut weiter untersucht. Langfristiges Ziel ist die Entwicklung von Medikamenten, die diese Wirtszellfaktoren blockieren, ohne nennenswerte Nebenwirkungen hervorzurufen. Die Forscher gehen davon aus, dass solche neuartigen Virustatika kaum zu einer Resistenzentwicklung der Viren führen und sich auch gegen bisher unbekannte Influenzasubtypen als wirksam erweisen.
Vorstellbar wäre auch, die identifizierten humanen Gene mittels der Methode der RNA Interferenz selbst zu hemmen. Mit der Untersuchung derartiger therapeutischer Anwendungen der RNA-Interferenz wurde bereits im Jahre 2004 mit dem von Professor Meyer koordinierten europäischen Forschungsverbund (RIGHT) begonnen. Die ‚Nobelpreis-Technologie des Jahres 2006‘ bietet sich also nicht nur zur Charakterisierung infektionsrelevanter Genfunktionen des Menschen an, sondern darüber hinaus auch als therapeutische Anwendung. Dies haben inzwischen auch Pharmafirmen erkannt, mit denen das Institut Kontakt hält.
Die RNA Interferenz bietet großes Potential für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten
Mit der sich immer stärker verdichtenden Erkenntnis, dass für den Verlauf von Infektionen beide Seiten, nämlich die des Erregers und die seines Wirts, benötigt werden, eröffnen sich neue Chancen für die Behandlung akuter und chronischer Infektionen. "In der Zukunft wird die Strategie, menschliche Genfunktionen zu bestimmten Zeiten gezielt abzuschalten, eine wichtige Rolle auch bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten einnehmen - neben dem Einsatz von Antibiotika und Impfstoffen," sagt Professor Thomas Meyer, Geschäftsführender Direktor des Berliner MPI und Leiter der Forschergruppe. "Zwar erscheint uns das Ausschalten menschlicher Genfunktionen auf den ersten Blick als problematisch, aber es handelt sich um genau dasselbe therapeutische Prinzip, das wir seit Jahrzehnten zur medikamentösen Behandlung sonstiger Erkrankungen von Krebs bis hin zu lästigen Kopfschmerzen erfolgreich heranziehen. Also warum nicht auch für die Therapie von Infektionskrankheiten?"
Originalveröffentlichung: Alexander Karlas et al.; "Human host cell factors crucial for influenza virus replication identified by genome-wide RNAi screen"; Nature, online publiziert am 17. Januar 2010