Wunderwerke aus der Mikrowelt: Die Natur liefert den Bauplan für winzige Roboter, die im menschlichen Körper arbeiten könnten
„Die Natur hat ein paar Millionen Jahre Erfahrung. Es ist eine gute Idee, diese zu nutzen“, sagt Holger Stark. Der Professor für Theoretische Physik der Technischen Universität Berlin beschäftigt sich allerdings mit einem Bereich in der Natur, vor dem es anderen Menschen oft graut: mit Darmbakterien und Salmonellen. Er untersucht, wie sich diese mikroskopisch kleinen Lebewesen in ihrem wässrigen Milieu fortbewegen. Nach ihrem Vorbild könnten winzige Maschinen gebaut werden, die auch im menschlichen Körper arbeiten können.
„Ein Bakterium mit seinen spiralförmigen Fäden, die durch wenige Nanometer kleine Rotationsmotoren angetrieben werden, ist ein Wunderwerk der Natur. Seine Fortbewegungsmechanismen zu verstehen, hilft beim Bau mikroskopisch kleiner Roboter, die man unter anderem auf eine Reise durch die Blutgefäße eines Körpers schicken könnte“, malt er seine Zukunftsvisionen aus. Diese Mikromaschinen könnten gezielt Reparaturarbeiten in den Zellen und Gefäßen vornehmen oder Medikamente genau dorthin transportieren, wo sie gebraucht werden.
„Das Wissen darüber, wie sich diese Bakterien fortbewegen, wie die zähe flüssige Umgebung ihre Bewegung beeinflusst, eröffnet viele Möglichkeiten, auf die lebenden Bakterien selbst einzuwirken“, sagt Reinhard Vogel, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt. Profitieren könnte beispielsweise die Hygiene im Krankenhaus. „Allein aufgrund ihrer Schwimmbewegung sammeln sich Bakterien an glatten Oberflächen. Das zu verhindern, könnte das Risiko der gefürchteten Infektionen durch Katheter und Prothesen reduzieren.“
Über die Fortbewegungsmechanismen dieser mikroskopisch kleinen Schwimmer wissen die Forscher bereits, dass sich in der Zellwand ihrer Zellkörper diese Rotationsmotoren befinden, die jeweils spiralförmige Filamente oder Geißeln antreiben. „Diese vereinigen sich zu einem rotierenden Bündel und erzeugen damit den Vortrieb“, erklärt Vogel. „Die Steuerung ist simpel: Der eine oder andere Faden schert aus dem Bündel aus, wenn sich die Drehrichtung seines Motors umdreht. Dadurch bringt es das ganze Bakterium ins Schlingern und provoziert schließlich eine Richtungsänderung.“
Ein ganzes Chemielabor auf einem einzigen Chip
In einem neuen Forschungsprojekt, das von der Volkswagenstiftung mit rund 500.000 Euro gefördert wird, untersuchen die Wissenschaftler mit Kollegen aus dem Forschungszentrum Jülich nicht nur die Physik dieser Mechanismen, sondern sie wollen ein elastisches Modell von einer solchen Bakteriengeißel und deren Vortrieb durch den Rotationsmotor konstruieren. Mit computergestützten Simulationen, die auch die zähe wässrige Umgebung berücksichtigen, wird dabei zum Beispiel der Einfluss der Drehgeschwindigkeit und der Steifigkeit der Bakteriengeißel auf das Fortkommen der Bakterien untersucht. Diese Einflüsse haben in der Natur eine immense Bedeutung. Ein Bakterium muss immer in Bewegung bleiben, um vorwärts zu gleiten. Stoppt es seine Bewegungen, bleibt es sofort stehen. Das klingt banaler, als es ist. Bei einem Ozeandampfer oder auch beim Menschen ist das nämlich ganz anders. Sie gleiten auch nach Maschinenstopp beziehungsweise nach Einstellung der Schwimmbewegung im Wasser noch weiter. „Das liegt an den unterschiedlichen Reynoldszahlen, die die Trägheit von Gegenständen in flüssigen Umgebungen beschreiben“, erklärt Diplomphysiker Reinhard Vogel, der über dieses Problem promovieren will. „Da Bakterien sehr kleine Reynoldszahlen haben, erscheint ihnen eine Flüssigkeit viel zäher, die Umgebungsreibung wirkt also viel stärker auf sie und stoppt sie sofort, wenn sie die Bewegung einstellen.“
„Unsere Erkenntnisse und weitere Arbeiten sind auch für das sogenannte ,Lab-on-a-chip’ wichtig, einem Chemielabor das auf einem einzigen Mikrochip Platz findet“, erklärt Holger Stark. In dem „Chiplabor“ müssen kleinste Mengen von Flüssigkeiten transportiert und vermischt werden, um etwa eine DNS-Analyse durchzuführen. So leicht die Aufgabe mit Becherglas und Pipette durchzuführen ist, so schwierig stellt sie sich in der mikroskopischen Welt dar. Die rotierenden spiralförmigen Fäden können bei dieser Aufgabe helfen. Die Lösungen der Natur werden so zum Vorbild für die Hochtechnologie.