Fine tuning eines Krebsmedikaments - Lernen von der Evolution
Krebszellen sind so gefährlich, weil sie sich sehr viel schneller vermehren als andere Zellen. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet eine bestimmte Gruppe von Eiweißen, die so genannten Kinasen. Und gegen sie richten sich auch die meisten auf dem Markt befindlichen Krebsmedikamente. Als man vor ein paar Jahren entdeckte, dass man das Zellwachstum auch durch Blockieren des Proteasoms bremsen kann, schürte das neue Hoffnungen. Das erste Medikament, das diese Strategie anwendet, wird in diesem Jahr voraussichtlich einen Umsatz von mehr als einer Milliarde US-Dollar erzielen. Doch es verursacht eine Vielzahl schwerwiegender Nebenwirkungen.
Auf der Suche nach Alternativen wurde das Kalifornische Unternehmen Nereus Pharmaceuticals, Inc., bei Salinispora tropica fündig, einem Meeres-Bakterium. Dieses produziert ein kleines Molekül, das befallene Zellen abtötet indem es die zelluläre Müllverwertungsanlage, das Proteasom, lahm legt. "Im Lebenszyklus einer Zelle werden immer wieder Proteine aufgebaut, die nach getaner Arbeit wieder vernichtet werden müssen," sagt Professor Michael Groll, Leiter des Forscherteams an der TU München. "Wird der Abbau blockiert, erstickt die Zelle an ihrem eigenen Müll."
Doch auch das vom Bakterium produzierte Salinosporamid A (NPI-0052; Sal-A), das nach vielversprechenden präklinischen Versuchen inzwischen an Patienten erprobt wird, zeigt Nebenwirkungen. "Das Bakterium hat den Stoff in Jahrmillionen der Evolution zu einer perfekten Waffe entwickelt," sagt Dr. Barbara Potts, Vizepräsidentin für chemische und onkologische Entwicklung des Pharmaunternehmens Nereus. Das ideale Krebsmedikament sollte jedoch nur Krebszellen abtöten und gesunde Zellen möglichst wenig schädigen. In der Hoffnung, die Reaktion modifizieren zu können, sahen sich die Forscher den Reaktionsweg genauer an.
Den Forscherteams um Barbara Potts und Michael Groll gelang es, Kristalle des durch Salinosporamid A blockierten Proteasoms herzustellen und in einer Röntgenstrukturanalyse die genaue Lage der Atome zu bestimmen. Es wurde klar, warum das Bakteriengift so effektiv ist: Wie ein Schlüssel passt das Molekül in eine Öffnung des Proteasoms und blockiert es. Und: In einer Folgereaktion reagiert es weiter zu einem nicht mehr lösbaren Komplex - der Schlüssel steckt fest und nichts geht mehr.
In der industriellen Chemie werden Halogenkohlenwasserstoffe gerne eingesetzt, weil das Halogenatom gut gegen andere Gruppen ausgetauscht werden kann. Genau diesen Trick wendet auch das Bakterium an; es benutzt ein Chloridion als Abgangsgruppe, um eine interne Ringschluss-Reaktion auszulösen. Schließt sich der Ring, ist das Schloss blockiert. Die Forscher synthetisierten nun Varianten des Salinosporamid A, und wieder gelang es von den Produkten Kristalle und Röntgenstrukturanalysen herzustellen.
Als sie das Chlor- durch ein Fluoratom ersetzten, konnten sie sogar den Ablauf der Reaktion beobachten. Nach einer Stunde Reaktionszeit steckte der Schlüssel noch im Schloss, man hätte den Schlüssel wieder herausziehen können. Ein paar Stunden später war das Fluor abgespalten und das Schloss blockiert. "Es ist unwahrscheinlich, dass es eine bessere Möglichkeit gibt das Proteasom zu blockieren, als die in Jahrmillionen von der Evolution entwickelte Methode des Bakteriums," sagt Michael Groll. "Nachdem wir nun wissen, wie die bestmögliche Reaktion abläuft, können wir sie gezielt variieren, um ein möglichst wirksames Medikament mit nur geringen Nebenwirkungen zu entwickeln."
Originalveröffentlichung: Michael Groll et al.; "Snapshots of the Fluorosalinosporamide/20S Complex Offer Mechanistic Insights for Fine Tuning Proteasome Inhibition"; Journal of Medicinal Chemistry, published online ahead of print August 13, 2009