Neuer 3-D-Chip ist wahrer Alleskönner
Über eine mögliche Anwendung, nämlich die Beurteilung der Wirksamkeit von beispielsweise Krebsmedikamenten, hat jetzt "Chemistry World" berichtet. Doch die Möglichkeiten des Chips gehen weit darüber hinaus. Für den Laien sieht der Chip auf den ersten Blick aus wie ein gewöhnliches Computerbauteil. Doch Professor Robitzki lenkt den Blick auf die spiegelnde Oberfläche, auf der kleine Einkerbungen erkennbar sind. "In diese Kavitäten oder Töpfchen können wir Gewebeproben einlegen und anschließend Wirkstoffe einbringen", erläutert sie. So geschehen mit Proben von Melanomen, dem gefürchteten Schwarzen Hautkrebs, die mit Wirkstoffen verschiedener Krebsmedikamente behandelt wurden. An den kleinen Töpfchen des Chips liegen vier Elektroden an, die Ströme durch das Untersuchungsgut leiten. "Wenn der Wirkstoff zum Tod der Krebszellen führt, dann werden die Zwischenräume im Gewebe größer und der elektrische Widerstand des Gewebes sinkt", erklärt die Wissenschaftlerin. Innerhalb von Millisekunden kann hier nachgewiesen werden, wofür man im Labor mit herkömmlichen Methoden wie der mikroskopischen Untersuchung von Gewebeschnitten Wochen bräuchte.
Auch bei der schwierigen Behandlung von Brustkrebs könnte der Chip von Nutzen sein. "Tumoren sind sehr individuell", so die Wissenschaftlerin. Bisher stehen Ärzte bei der Therapie solcher Karzinome vor der schwierigen Aufgabe, das Medikament auszuwählen, das den besten Erfolg verspricht. "Die Entscheidung darüber würde bei Einsatz des Chips auf der Basis gesicherter Daten erfolgen", unterstreicht Professorin Robitzki. Auf den individuellen Tumor könnte die Medizin mit einer individuellen Therapie reagieren.
Damit wäre nicht nur den Ärzten und Patientinnen geholfen, sondern auch ein zusätzliches Risiko würde minimiert: Kommt nämlich ein für den Tumor ungeeigneter Wirkstoff zum Einsatz, kann sich als Effekt infolge einer Resistenz auch ein aggressiveres Wachstum der Krebszellen einstellen. Dies konnten die Leipziger Wissenschaftler schon nachweisen. "Der Chip ermöglicht Langzeitbeobachtungen, wie sie im Labor nur sehr schwierig machbar sind, wenn sie denn überhaupt möglich sind", so Robitzki.
Im Labor wird zu einem mehr oder weniger willkürlich gewählten Zeitpunkt festgelegt, wann die Zellen untersucht und dafür zerstört werden müssen. Wenn aber die Nebenwirkung oder ein unerwünschter Effekt drei Stunden später eintritt, kann er mit der untersuchten Probe nicht nachgewiesen werden. Im Chip hingegen wird lebendes Gewebe untersucht, ohne das es dabei beeinflusst oder zerstört werden muss.
Doch auch bei anderen Geweben kann der 3-D-Chip zur Anwendung kommen. Professor Robitzki nennt als Beispiel den Herzmuskel. "Zellen aus diesem Muskel verhalten sich genau so wie ein kontrahierender Herzmuskel", beschreibt sie. So sind bei diesen Zellen die gleichen Kontraktionen zu beobachten wie bei einem schlagenden Herzen. Arbeitet das Organ nicht richtig, so entstehen die berüchtigten Herzrhythmusstörungen. Mit dem neuen Chip ist es möglich, die Zellen des Muskels mit Wirkstoffen zu versorgen, die den Rhythmusstörungen entgegenwirken. Und nicht nur das: "Wir können anhand der gemessenen Reaktion auch feststellen, ob das verabreichte Mittel zu Nebenwirkungen führt." So kann von vornherein die Gefahr vermindert werden, dass durch die Gabe von "falschen" Medikamenten der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird.
Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Entwicklung neuer Arzneimittel. Bislang ist der Weg zu einem neuen Medikament lang und steinig: Von Millionen von Substanzen bzw. Wirkstoffkandidaten ausgehend werden in aufwändigen Verfahren für die gewünschte Wirkung ungeeignete Stoffe ausgesondert, die verbleibenden werden in Tier- und klinischen Versuchen getestet bevor schließlich ein Medikament Marktreife hat - ein Prozess, der derzeit 10 bis 15 Jahre dauert. Mit dem Leipziger Chip könnte nicht nur die Entwicklungszeit drastisch verkürzt, sondern zudem die Zahl der notwendigen Tierversuche dramatisch reduziert werden, weil Experimente viel gezielter durchgeführt werden können.
Rund ein Jahr Entwicklungszeit steckt in dem neuen Chip, doch der Aufwand hat sich gelohnt: "Erstmals konnten wir ein Modell schaffen, in dem viele Informationen gleichzeitig abgerufen und mehrere Wirkstoffe parallel getestet werden können, wobei wir zugleich mit sehr geringen Wirkstoffmengen auskommen und Ergebnisse in Echtzeit sichtbar werden", fasst Dr. Robitzki zusammen.
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