Neues Modell über die Entstehung von Metastasen
Mobile Krebsstammzellen - die eigentlichen Bösewichte?
Dickdarmkrebs geht aus den Drüsen der Dickdarmschleimhaut hervor und bleibt im Anfangsstadium häufig unentdeckt. Da betroffene Patienten anfangs selten Schmerzen oder andere Symptome zeigen, wird der Tumor oft erst bemerkt, wenn er bereits gefährliche Tochtergeschwülste, Metastasen, gebildet hat.
Krebsstammzellen entstehen, so Prof. Brabletz, aus den Stammzellen des Dickdarms (Kolon). Die Stammzellen sorgen normalerweise dafür, dass die Zellen des Darms, die nur eine begrenzte Lebensdauer haben, regelmäßig, das heißt einmal am Tag, erneuert werden. Wird solch eine Stammzelle zur Krebsstammzelle, kann sie sich anschließend unbegrenzt teilen und weitere Krebsstammzellen hervorbringen. In einem weiteren Schritt löst sich die Krebsstammzelle vom Ursprungstumor ab und kann sich über die Blutgefäße im Körper verbreiten.
"Die speziellen Krebsstammzellen aktivieren längst stillgelegte Signalwege", erklärte Prof. Brabletz, "die der Körper während seiner Entwicklung als Embryo nutzte." Die fälschlicherweise aktivierten Signalwege machen die ursprüngliche Stammzelle unabhängig von Signalen ihres Umfeldes. Diese Signale kontrollieren normalerweise streng die Tätigkeiten der Stammzelle. "Doch diese stationären, unbeweglichen Krebsstammzellen können noch keine Metastasen bilden", so Prof. Brabletz. Dazu müssen sie erst mobil werden. Auch dabei spielen Veränderungen in wichtigen Signalwegen der Zelle oder ihrer Umgebung eine entscheidende Rolle. Das heißt, die Krebsstammzellen verändern sich weiter und verlieren dadurch auch den Kontakt zu ihren Nachbarn und werden nicht mehr im Zellverband gehalten. Diesen Prozess nennen Forscher epitheliale-mesenchymale Transition, kurz EMT.
Dringt eine beweglich gewordene Krebsstammzelle in das Blutsystem ein, kann sie so andere Körperregionen erreichen, die vom ursprünglichen Tumor weit entfernt sind. Dort angekommen, kann sie sich in einem anderen Organ ansiedeln und eine Metastase bilden. Beim Kolonkarzinom siedeln sich Metastasen meist in der Leber an.
Mit dem Modell der mobilen Krebsstammzelle vereint Prof. Brabletz erstmals alle aktuellen Theorien zur Entstehung von Metastasen - genetische Veränderungen, Veränderungen im Tumorumfeld, Krebsstammzellen und die EMT. "Oft gab es Einzelaspekte, die beispielsweise durch das Konzept der Krebsstammzelle allein nicht zu erklären waren", merkte Prof. Brabletz an. Von Bedeutung dabei sei, dass die wichtigen Schritte der Metastasenbildung umkehrbar sind und nicht nur durch unwiderruflich veränderte Gene erklärt werden könnten. Erreicht eine mobile Krebsstammzelle ihr Ziel, im Fall des Dickdarmkrebses die Leber, verwandelt sie sich wieder zurück in eine stationäre Krebsstammzelle. "Demnach muss es eine Komponente geben, die den Anstoß für die Verwandlung dieser Zellen in die eine oder die andere Richtung gibt", führte er weiter aus. So könnten Wachstumsfaktoren aus dem Umfeld des Tumors für die Umwandlung der stationären Krebsstammzelle in eine mobile Krebsstammzelle verantwortlich sein.
Sollte sich das neue Modell der Entstehung von Metastasen in den nächsten Jahren bestätigen, wird dies nach Auffassung von Prof. Brabletz weitführende Konsequenzen für die Grundlagenforschung, aber auch für die Klinik haben. "Die mobilen Krebsstammzellen wären optimale Ziele in der Krebstherapie", hofft Prof. Brabletz. "Sie sind die gefährlichsten Zellen für den Krebspatienten, denn sie sind nach unserem Modell der Hauptursprung von Metastasen."