Geschlechterkonflikt bei Pflanzen

Wettstreit um das Gen MEDEA

19.07.2007

Säugetiere und höhere Pflanzen haben in ihrer Art der Fortpflanzung etwas gemeinsam: ihre Embryonen sind in ein Gewebe eingebettet, das sie mit Nährstoffen versorgt. Bei Säugetieren wird dieses Nährgewebe Plazenta genannt, bei Pflanzen Endosperm. Dieses Nährgewebe wird in beiden Fällen ausschließlich von der Mutter bereitgestellt. Somit investiert nur die Mutter aufwändige Ressourcen in die Embryonalentwicklung - der Vater dagegen nicht. Er stellt lediglich sein Erbgut in Form von Spermien, die sich im Pollen befinden, zur Verfügung. Doch dadurch entsteht ein Konflikt: Mütter wollen ihre Ressourcen nämlich gleichmäßig auf ihre Embryonen verteilen, denn diese enthalten ja alle denselben mütterlichen Erbteil. Väter sind daran interessiert, dass möglichst nur die von ihnen befruchteten Embryonen die meisten Ressourcen von der Mutter bekommen, um nur ihren väterlichen Erbteil erfolgreich fortzupflanzen. Dies ganz besonders dann, wenn Eizellen einer Mutter von verschiedenen Vätern befruchtet wurden. Wie können nun die verschiedenen Väter diesen Konkurrenzkampf führen? Ein einfacher Trick wäre, dass sie versuchen, die Mutter über zelluläre Signale aus dem jeweils von ihnen befruchteten Embryo zur Bereitstellung möglichst vieler Nährstoffe zu bewegen, um so ihrem Nachkommen einen Selektionsvorteil zu verschaffen.

Eine Gruppe von Genetikern um Charles Spillane (University College Cork, Irland), Karl Schmid (Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Jena) und Ueli Grossniklaus (Universität Zürich) hat sich diesem interessanten Mutter-Vater- Konflikt auf genetischer Ebene gewidmet und ihre Ergebnisse jetzt in der Fachzeitschrift NATURE veröffentlicht. Die Forscher analysierten das pflanzliche Gen MEDEA. Dieses Gen kontrolliert das Wachstum des mütterlichen Nährgewebes u.a. in der Modellpflanze Arabidopsis thaliana und steht, so vermuten die Wissenschaftler, im Zentrum eines solchen Konflikts. Denn MEDEA unterliegt der so genannten genetischen Prägung (genomic imprinting): Obwohl pflanzliche Embryos je eine MEDEA Kopie sowohl des väterlichen als auch des mütterlichen Erbteils besitzen, ist nur das mütterliche MEDEA Gen aktiv. Das väterliche Gen bleibt dagegen stillgelegt, sodass die Mutter die Kontrolle über das gesamte Embryonalwachstum behält.

In der nun vorgelegten Arbeit untersuchten die Genetiker die Evolution des MEDEA-Gens in verschiedenen Pflanzenarten mit Methoden der Bioinformatik und fanden heraus, dass MEDEA und ein Schwester-Gen, SWINGER genannt, vor ca. 35 bis 85 Millionen Jahren bei einer Verdopplung des gesamten Genoms aus einem gemeinsamen Vorläufer-Gen entstanden sind. Beide Gene sind in der Eizelle und im befruchteten Embryo aktiv. Jedoch konnte nur MEDEA-Aktivität in weiteren Geweben, so zum Beispiel in den Vorläuferzellen des Nährgewebes (Endosperm), nachgewiesen werden. Nach der Befruchtung übernimmt MEDEA, aber nicht SWINGER, die Kontrolle über die Entwicklung von Endosperm und Embryo. Die Forscher beobachteten, dass das von MEDEA kodierte Protein deutlich mehr Aminosäureaustausche im Vergleich zum gemeinsamen Vorläufer aufwies als das SWINGER-Protein. "Aufgrund der stark veränderten Proteinsequenz können wir annehmen, dass MEDEA nach seiner Entstehung im Gegensatz zu SWINGER neue Funktionen erworben hat", erklärt Karl Schmid.

Die beobachtete, schnelle Evolution des MEDEA-Gens könnte zusätzlich durch eine Art "evolutionäres Wettrennen" verursacht worden sein. Ein Vergleich der Evolutionsgeschwindigkeit von MEDEA in den zwei eng verwandten Kreuzblütler-Arten Arabidopsis thaliana und Arabidopsis lyrata deutet tatsächlich auf ein solches Wettrennen hin: Arabidopsis thaliana befruchtet sich (fast) ausschließlich selbst (Selbstbestäuber), die mütterlichen und väterlichen Erbteile in den Embryonen stammen also von derselben Mutter. Der Konflikt um die Nährstoffverteilung an die Embryonen in der Mutterpflanze sollte daher weitaus schwächer ausgeprägt oder gar nicht vorhanden sein im Vergleich zu der sich stets auskreuzenden und von vielen fremden Vaterschaften gekennzeichneten Art Arabidopsis lyrata. "In der Tat konnten wir zeigen, dass sich das MEDEA-Protein in A. lyrata sehr viel schneller verändert hat als in A. thaliana", stellt der Max-Planck-Forscher fest. Vermutlich gibt es also wirklich einen Wettstreit zwischen Vater und Mutter auf der Ebene der Gene, und zwar um die MEDEA-Aktivität in Embryo und im Nährgewebe. Noch ist unklar, wie dieser Konflikt in der Zelle abläuft und die Aktivität von MEDEA beeinflussen kann. Klar ist aber, dass sich das verwandte SWINGER-Gen in den beiden Arten gleich langsam entwickelt und sich somit aus dem "genetischen Geschlechterkampf" anscheinend verabschiedet hat.

Originalveröffentlichung: Charles Spillane, Karl J. Schmid, Sylvia Laoueillé-Duprat, Stéphane Pien, Juan-Miguel Escobar-Restrepo, Célia Baroux, Valeria Gagliardini, Damian R. Page, Kenneth H. Wolfe & Ueli Grossniklaus; "Positive darwinian selection at the imprinted MEDEA locus in plants"; NATURE, July 19, 2007.

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