Theoretischer Physiker modelliert zelluläre Hochleistungsenzyme

22.05.2007

Nur selten werden theoretische Physiker beauftragt, Fragen der Zellbiologie zu lösen. In diesem Projekt hingegen lässt sich ohne Physiker kaum aufklären, wie es möglich ist, dass bei der Teilung eines Bakteriums eine bestimmte Enzymgruppe eine Milliarde Mal aktiv ist, ohne dass der Prozess außer Kontrolle gerät. Professor Dr. Peter Lenz, Theoretischer Physiker am Fachbereich Physik der Philipps-Universität Marburg, und drei weitere Partner haben jetzt 1,35 Millionen Dollar von der Human Frontier Science Program (HFSP) erhalten, um eine grundlegende Frage der Systembiologie zu lösen.

Gemeinsam mit Professor Terence Hwa (University of California, San Diego), Professorin Sydney G. Kustu (University of California, Berkeley) und Professor Yiping Wang (Peking University) - sie werden den experimentellen Teil der Arbeit durchführen - wird sich Lenz drei Jahre lang dieser Aufgabe widmen. Insgesamt hatte die HFSP 755 Anträge erhalten, davon sind nun 24 bewilligt worden.

Ausgangspunkt des Projekts sind die erstaunlichen Wachstumsfähigkeiten von Bakterien. Das Darmbakterium Escherichia coli beispielsweise stellt unter optimalen Bedingungen alle dreißig Minuten eine exakte Kopie von sich selbst her. Dabei spielt Stickstoff eine zentrale Rolle, denn alle Aminosäuren und Nukleotide (letztere sind Bausteine des Genoms), aus denen ein Bakterium aufgebaut ist, enthalten zumindest ein Stickstoffmolekül. An einer bestimmten Stelle des molekularen "Fließbands", an dem diese Bauteile synthetisiert werden, ist darum eine Gruppe von Enzymen (das so genannte nitrogen assimilation module) aktiv, die ihnen durch eine Reihe chemischer Reaktionen die jeweils erforderlichen Stickstoffmoleküle hinzufügt. Da ein Bakterium aus Millionen Proteinen aufgebaut ist, die ihrerseits aus durchschnittlich mehreren hundert Aminosäuren bestehen, tritt dieses Modul rund eine Milliarde Mal pro Teilung eines Bakteriums in Aktion.

Eine so häufige Reaktion, die zudem einen beträchtlichen Anteil der für die Zellteilung notwendigen Energie verbraucht, muss natürlich "beaufsichtigt" werden. Und tatsächlich ist die Enzymgruppe hochgradig reguliert: Ihre Aktivität wird den äußeren Bedingungen sorgfältig angepasst. So produziert sie zum Beispiel lediglich jene Aminosäuren, die in ihrer Umwelt (beziehungsweise in der Nährstofflösung) nicht zur Verfügung stehen. Der Enzymgruppe kommt dabei die Rolle einer zentralen Schaltstelle des Stoffwechsels zu, die dafür sorgt, dass Bakterien unter gegebenen externen Bedingungen optimal wachsen.

Im Rahmen des Projekts "The control circuitry of nitrogen assimilation in bacteria" haben sich Peter Lenz und seine Partner nun zum Ziel gesetzt, die Strategie und Mechanismen dieser Regulation zu entschlüsseln. Erstmals werden Methoden der theoretischen Physik in einem solchen Kontext eine zentrale Rolle spielen. "Mit ihrer Hilfe können wir einen zentralen Aspekt des bakteriellen Stoffwechsels quantitativ charakterisieren", so Lenz. Denn tatsächlich sei gerade die Entwicklung quantitativer Modelle die große Stärke theoretischer Physiker: "Indem wir die zahlreichen Daten etwa zur Reaktionskinetik, zu den Konzentrationen von Bausteinen und Nährstoffen und zu vielem mehr in einem theoretischen Modell zusammenfügen, können wir unser Verständnis der bakteriellen Physiologie erheblich erweitern." Die Modellierung der Regulation soll darüber hinaus nicht nur zur Interpretation der experimentellen Daten beitragen, sagt Lenz, sondern auch "ganz entscheidend" die Entwicklung neuer Experimente befördern.

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