Alzheimer-Mäuse erinnern sich wieder: Göttinger Forscher beschreiben Therapiemöglichkeit
Wenn Nervenzellen im Gehirn ihre Funktion verlieren, sterben sie ab. Bis zu einem Drittel weniger Gehirnvolumen weisen Alzheimer-Patienten bei ihrem Tod auf. Im Verlauf der Erkrankung gehen Erinnerungen aber nicht unbedingt gleich für immer verloren, vermuten Neurowissenschaftler. Sie werden für das Bewusstsein unerreichbar, weil die Nervenverbindungen zu den Speicherorten untergehen. "Andere Nerven können die Kontakte übernehmen, wenn man ihnen dabei hilft", sagt André Fischer, Leiter der Nachwuchsgruppe Experimentelle Neuropathologie am European Neuroscience Institute Göttingen.
Neurowissenschaftler wissen inzwischen recht viel über die molekularen Veränderungen im Gehirn von Alzheimer-Patienten. Unter anderem ist in den betroffenen Nervenzellen das Eiweiß mit dem Namen p35 zu aktiv und beschädigt ein Gerüst-Eiweiß mit dem Namen Tau, wie Dr. André Fischer bereits vor einigen Jahren am Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen zeigen konnte. Das innere Skelett der Nervenzell-Fortsätze bricht zusammen. Die Nerven können nicht mehr über Kontaktstellen miteinander kommunizieren und sterben schließlich ab. Wie der fortschreitende Hirnschwund wirksam aufgehalten werden kann, ist jedoch noch immer ein Rätsel.
Lassen sich Lernfähigkeit und Erinnerungsvermögen bei demenzkranken Mäusen wieder herstellen? Dieser Frage ging Fischer nach. Er nutze hierzu ein in den USA entwickeltes Mausmodell. Mit Hilfe einer Substanz im Futter der kleinen Nager konnte Fischer das nervenschädigende Protein p25, eine "aggressivere" Variante von p35, beliebig in ihrem Gehirn an- oder abschalten. Wenn p25 über vier Wochen lang angeschaltet wird, werden die kleinen Nager ziemlich lernschwach. Nach sechs Wochen erinnern sie sich kaum noch an Dinge, die sie vor langer Zeit gelernt haben. Im Gehirn zeigen die Tiere alle Merkmale der Alzheimerschen Krankheit wie den Abbau von Nervenzellen und typische Eiweiß-Ablagerungen.
Zunächst setzte Dr. Fischer erwachsene Mäuse nach sechs Wochen p25-Behandlung und messbarem Hirnschwund für vier Wochen in eine "bereichernde Umwelt" mit viel "Mäuse-Spielzeug" und verstecktem Futter. Bei gleich bleibend geringer Hirnmasse verbesserten sich das räumliche Orientierungsvermögen und die Fähigkeit "geistige Verknüpfungen" herzustellen bei den "Lern-Mäusen" deutlich im Vergleich zu den Artgenossen in "langweiliger" Standard-Unterbringung. Die Nager in abwechslungsreicher Umgebung begannen sogar, sich an Dinge zu erinnern, die sie längst vergessen hatten. Biochemische Untersuchungen zeigten, dass im Gehirn der "intellektuell geförderten" Mäuse mehr Nervenfortsätze (Dendriten) und Kontaktstellen zwischen Nerven (Synapsen) in den betroffenen Hirnregionen vorhanden waren. Es gab Anzeichen dafür, dass dieser Effekt auf der Aktivierung von Nerven- und Synapsen-typischen Genen beruhte.
Eine Aktivierung von bestimmten Gen-Familien lässt sich auch mit Hilfe bestimmter chemischer Substanzen erreichen. Ob eine Behandlung der Mäuse mit Hemmstoffen (Inhibitoren) der so genannten Histon-Deacetylasen (HDACs) genauso Lern- und Erinnerungs-fördernd wirkt wie der "Mäuse-Spielplatz", untersuchte Fischer als Nächstes. Einmal täglich erhielten gesunde und bereits erkrankte Mäuse entsprechende Substanzen. Alle behandelten Versuchsgruppen steigerten ihr Lernverhalten deutlich gegenüber unbehandelten Tieren. Auch durch die HDAC-Inhibitoren konnten die Alzheimer-Mäuse längst vergessenes Wissen reaktivieren. Auf molekularer Ebene bestätigten die Erfolge mit den HDAC-Inhibitoren ebenfalls die "Hirnjogging-Ergebnisse" mit den Spiel-Mäusen.