Köpfe zählen oder Räume vermessen?
Bakterielle Kommunikationsstrategien unter der Lupe
Wissenschaftler des GSF - Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit (Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft) konnten nun zeigen, dass beide Ansätze nur theoretische Extreme einer Gesamtstrategie sind, mit der Bakterien feststellen, ob sich in ihrer Umweltsituation der Energieaufwand lohnt, Stoffe wie z.B. Antibiotika oder Exoenzyme zu produzieren. "Diese Gesamtstrategie - das sogenannte Efficiency Sensing - führt die bisherigen Theorien zusammen und lässt erstmals verstehen, wie und zu welchem Zweck bakterielle Kommunikation funktioniert", erklärt Dr. Burkhard Hense vom GSF-Institut für Biomathematik und Biometrie (IBB), der die verschiedenen Strategien mit Hilfe mathematischer Modelle analysierte.
Entdeckt wurde die mikrobielle Kommunikation in durchmischten flüssigen Laborkulturen, z.B. des Leuchtbakteriums Vibrio fischeri, dessen Biolumineszenz erst ab einer bestimmten Zelldichte auftritt. Daher wurde die Freisetzung von Signalmolekülen zunächst als Strategie verstanden, die Zelldichte zu bestimmen (Quorum Sensing). Allerdings stellt Quorum Sensing mit seinem kooperativen Ansatz aus evolutionärer Sicht keine stabile Überlebensstrategie dar, weil auch "Schmarotzer" von den freigesetzten Substanzen profitieren können, ohne die Kosten für ihre Produktion tragen zu müssen. Etwas simpler ist der Ansatz des Diffusion Sensing: Hier wird davon ausgegangen, dass das Bakterium mit Hilfe der Signalstoffe misst, ob der umgebende Raum klein genug ist, um eine für den gewünschten Effekt notwendige Wirkstoffkonzentration zu erreichen - andere Bakterien müssen im Gegensatz zum Quorum Sensing nicht unbedingt beteiligt sein.
In einer komplexen und heterogenen Umgebung wie dem Wurzelraum von Pflanzen haben allerdings beide Kommunikationsstrategien ihre Schwächen: Die Wurzeloberfläche stellt eine hoch komplexe Matrix dar, in der Feststoffe, Gele, Flüssigkeiten und Gase kleinräumig wechseln und wo zudem zahlreiche andere Organismen dazwischen reden.
In Kooperation mit Professor Dr. Anton Hartmann und Dr. Michael Rothballer von der GSF-Abteilung Mikroben-Pflanzen-Interaktionen (AMP) untersuchte Hense im Rahmen des interdisziplinären Querschnittsthemas "Molekulare Interaktionen in der Rhizosphäre" deshalb besonders diesen Lebensraum. Mit Hilfe mathematischer Modelle konnte er zeigen, dass die räumliche Verteilung der Bakterien in der Rhizosphäre die Kommunikaton oft stärker beeinflusst als die Zelldichte oder die Größe der Umgebung. Deshalb entwickelten die Wissenschaftler eine Synthese beider Modelle, das Efficiency Sensing: Die Mikroben nehmen immer eine Mischung aus Zelldichte, Zellverteilung und Diffusionslimitierung durch räumliche Bedingungen wahr, weil sich diese Punkte gar nicht exakt voneinander trennen lassen - welcher Aspekt vorherrscht, kommt auf die Umstände an.
Auch das Problem der "Schmarotzer" wird umgangen, wenn die räumliche Verteilung der Zellen berücksichtigt wird: Auf Wurzeloberflächen oder in Biofilmen bilden verwandte Organismen häufig klonale Mikrokolonien. Da in diesem Fall alle Verwandten in nächster Nähe sitzen, kommen sie auch am ehesten in den Genuss der Signalstoffe und der durch die Signalstoffe ausgelösten Reaktionen - Fremde bleiben weitgehend ausgeschlossen. Solche Aggregationen nahe verwandter Zellen ermöglichen somit eine evolutionär stabile Kooperation und bieten einen effektiven Schutz gegen Störungen von außen.
Originalveröffentlichung: Burkhard A. Hense, Christina Kuttler, Johannes Müller, Michael Rothballer, Anton Hartmann Jan-Ulrich Kreft; "Opinion: Does efficiency sensing unify diffusion and quorum sensing?" ; Nature Reviews Microbiology 2007, 5, 230-239.
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