Softwarefehler schleichen sich auch in wissenschaftliche Computersimulationen ein
In Stralsund sichern Forscher ihr Modell durch ein mathematisches Verfahren gegen Laufzeitfehler
Im Fachbereich "Elektrotechnik und Informatik" der Fachhochschule Stralsund arbeiten Forscher an dem Projekt "Modeling chromatin fibers by Monte Carlo procedures and analytical descriptions". In Zusammenarbeit mit dem Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg will das Team um Prof. Dr. Gero Wedemann ein Modell der Chromatinfaser entwickeln, mit dessen Hilfe sich die räumliche Organisation und die dynamischen Eigenschaften des Molekülkomplexes beschreiben lassen. Beides ist von Bedeutung bei der Transkription des Erbguts, dem Zwischenschritt auf dem Weg zur Proteinsynthese (der Translation). Von der Erforschung des Chromatins erhoffen sich Mediziner Hinweise auf die Entstehung und Vererbung von Krankheiten.
Ein häufiger Stolperstein solcher Forschungen sind Fehler im Programm, das die Modellberechnungen ausführt. Prof. Dr. Gero Wedemann: "Wissenschaftliche Software wird oft nicht gründlich genug getestet. Dadurch besteht die Gefahr, dass sich Fehler in die Simulation einschleichen und unbemerkt das Modell beeinflussen."
Das Problem: Da es sich zumeist um Grundlagenforschung handelt, liegen nur wenige Vergleichsdaten vor, die zur Beurteilung der Simulationsergebnisse herangezogen werden könnten. Ein Fehler könnte daher - bliebe er unentdeckt - die Forschung der folgenden Jahre in eine falsche Richtung lenken. Deswegen spielen Korrektheit und Fehlerfreiheit von Software in wissenschaftlichen Projekten eine ausschlaggebende Rolle. Die häufigsten und gefährlichsten Softwarefehler sind Laufzeitfehler. Sie machen sich erst bemerkbar, wenn das Programm ausgeführt wird und lassen es zumeist ohne Vorwarnung abstürzen. Die Stralsunder Forscher beugen ihnen durch eine umfangreiche Softwarevalidierung mit zahlreichen Tests und Reviews vor.
Seit neuestem greifen sie dazu auf Mathematik zurück: Das Analysewerkzeug "Polyspace Verifier" der bei München beheimateten Polyspace Technologies GmbH verwendet das Prinzip der "abstrakten Interpretation", um Auftreten und Art von Laufzeitfehlern zu berechnen. - Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, wie beispielsweise Alan Turing annahm. Der britische Mathematiker trug während des zweiten Weltkriegs maßgeblich dazu bei, den Enigma-Code zu knacken. Mitte der 50er Jahre postulierte er, dass es nicht möglich sei, Laufzeitfehler automatisch vorher zu bestimmen. Sein Argument: Die exakte Menge der möglichen Zustände eines Systems lässt sich nicht berechnen.
Dr. Alain Deutsch, französischer Mathematiker und einer der Gründerväter von Polyspace Technologies, umging dieses Problem jedoch: Je nach Datentyp verfügen Variablen über eine bestimmte Spannweite möglicher Ausprägungen. Der Polyspace Verifier berechnet ausgehend vom Datenfluss des Quellcode, welchen Wertebereich jede Variable zu jedem Zeitpunkt während des Programmablaufs beinhalten kann. Darauf folgend wird für jede mögliche Operation des Programms analysiert, ob nicht erlaubte Zustände (z.B. Division durch Null, Overflow) auftreten können.
Erste Erfolge kann das Projektteam bereits vorweisen: Anhand des Modells ist es gelungen, fünf Eigenschaften der Chromatinfaser zu erklären. So können bereits Aussagen zum Durchmesser der Fiber, zu ihrer Massenbelegungsdichte, zur Orientierung von DNA und Nukleosomen zur Fiberachse und zur Flexibilität der Faser getroffen werden. "Damit liegen wir weltweit vor anderen Forschungsprojekten, die bis jetzt vielleicht zwei oder drei Charakteristika erklären können", so Prof. Dr. Wedemann.
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