Weniger ist mehr - Biochemiker erforschen, auf welche Weise Elektronen mit geringer Energie Krebszellen zerstören können

21.12.2006

Eines der wichtigsten Verfahren im Kampf gegen den Krebs ist derzeit die Strahlentherapie. Dabei wird energiereiche Strahlung örtlich begrenzt auf jenen Bereich im Körper gerichtet, in dem sich der Tumor befindet. Durch Schädigungen der Erbsubstanz (DNA) sollen die bösartigen Tumor-Zellen absterben.

Leider wirken die eingesetzten Strahlen aber nicht nur auf die DNA der Tumorzellen. Auch das umliegende, gesunde Gewebe wird durch die Bestrahlung geschädigt. In den vergangenen Jahrzehnten beschäftigten sich deshalb zahllose Forschungsprojekte mit dem Thema Strahlenschäden und Strahlentherapie. Phänomene, wie etwa die Schädigung und Mutation des Erbguts, sind bereits umfassend dokumentiert. Welche molekularen Prozesse, diese Schäden jedoch auslösen, waren bislang weitgehend unbekannt. "Die Rolle von so genannten sekundären Elektronen, die bei der Bestrahlung auftreten, war kaum erforscht", sagt Prof. Eugen Illenberger vom Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin. "Insbesondere den Elektronen mit geringer Energie kommt hier eine Schlüsselrolle zu."

Mittlerweile arbeitet die Forschungsgruppe des Arbeitsbereichs Physikalische und Theoretische Chemie seit rund fünf Jahren an der Aufklärung jener molekularen Prozesse, die durch Strahlung in der DNA ausgelöst wird. Ein Projekt, das von Anfang an international ausgerichtet ist: Die DNA-Studien sind in europäische und internationale Forschungsnetzwerke eingebunden. "EIPAM" (Electron Induced Processes at the Molecular Level) etwa ist ein Netzwerk, das gezielt die Kommunikation zwischen Physikern, Chemikern, Biochemikern und Theoriegruppen in Europa, Nordamerika und Japan fördert.

Im Blickpunkt der Wissenschaftler stand zunächst die Frage, an welchen Stellen die Strahlung die DNA überhaupt schädigen kann. Der Aufbau der DNA und ihrer chemischen Verbindungen spielen bei der Forschung von Eugen Illenberger eine wichtige Rolle. Denn die DNA wird nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler nicht direkt durch das auftreffende Strahlungsquant geschädigt. Aufgrund der elementaren Erhaltungssätze der Physik kann ein solches Teilchen nicht direkt das molekulare Netzwerk einer DNA aufbrechen oder verändern. Die zerstörerische Kraft birgt also nicht das Strahlungsquant selbst, sondern die so genannten sekundären Partikel. Diese Partikel entstehen beim Aufprall des Strahlungsquants auf das molekulare Netzwerk der Zelle. Wie ein großes Geschoss löst die Strahlung dabei aus dem Netzwerk der Zelle einen regelrechten "Elektronenschauer" heraus.

Verglichen mit dem hochenergetischen Strahlungsquanten besitzen die sekundären Elektronen wesentlich weniger Energie: Sie reicht in den Bereich von 20 bis 30 Elektronenvolt. Damit können die sekundären Partikel nicht ohne weiteres chemische Bindungen aufbrechen - noch nicht einmal durch eine direkte Kollision. Wegen ihrer geringen Masse und Energie ging man bisher davon aus, dass niederenergetische Elektronen keine besondere Rolle bei der DNA-Schädigung spielen. Dabei gleiche das Ganze der Geschichte von David gegen Goliath, erklärt Ilko Bald, der im Rahmen seiner Doktorarbeit an dem Projekt beteiligt ist. Zusammen mit Janina Kopyra und Constanze König erforscht er die Reaktionen einzelner DNA-Bestandteile, wie zum Beispiel Zucker, auf niedrigenergetische Elektronen. "Unsere Ergebnisse klingen zunächst paradox: Die DNA wird erst dann beschädigt, wenn niedrigenergetische Elektronen in der Zelle noch weiter heruntergebremst werden und nur noch einen Bruchteil der Energie einer chemischen Bindung besitzen."

Erst dann können die Elektronen ihre spezifische Wirkung auf die Basen in der DNA entfalten. Die Basen innerhalb des DNA-Gerüstes funktionieren nämlich wie Antennen. Sie können die Sekundärelektronen aufnehmen und dadurch die DNA verändern. Ihre Antennen sprechen jedoch nur auf Elektronen eines bestimmten Intervalls im niederenergetischen Bereich an. "Im Wissenschafts-Jargon heißt das: DNA-Basen besitzen niederenergetische Resonanzen mit repulsivem Charakter", erklärt Eugen Illenberger. Wenn die DNA-Base erst ein solches Elektron aufnimmt, ändert sich das energetische Verhältnis. Die Basenpaare halten nicht mehr zusammen, sondern stoßen sich ab. Die chemische Verbindung zerbricht und mit ihr die DNA - die Verbindungen des Doppelstrangs werden dann zu Sollbruchstellen.

Die Tatsache, dass bei der Feinabstimmung der Elektronenergie in Molekülen chemische Bindungen an ganz bestimmten Stellen gebrochen werden können, ist eine neu entdeckte Eigenschaft, die auch besonders für technische Anwendungen interessant ist. Bei der Mikrostrukturierung von Oberflächen etwa, einem Verfahren das in der Informationstechnologie sehr wichtig ist. Auch wenn diese Erkenntnis quasi ein Nebenprodukt der eigentlichen Forschungsidee ist - für Eugen Illenberger und seine Arbeitsgruppe sind es genau diese Ergebnisse, die sie an ihrem Fach so faszinieren. "Grundlagenforschung steckt eben immer voller Überraschungen."

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