Immer schön auf Abstand bleiben: Warum sich biologische Lasten beim Transport durch die Zelle nicht verhaken
Für den Transport in der Zelle sorgen Motorproteine, die wie kleine Containerwagen ihre Waren hin und her befördern. Sie benötigen Transportschienen, ohne die sie ziellos im Zytoplasma treiben würden. Diese Rolle übernehmen unter anderem die Mikrotubuli, lange fadenförmige Strukturen mit etwa 25 Nanometer Durchmesser und mehreren Mikrometern Länge, die sich durch die ganze Zelle ziehen. Die Motorproteine, für die Kinesin-1 ein bereits gut erforschtes Beispiel ist, bestehen aus Kopfgruppe, Mittelteil und Schwanz. Sie sind erheblich kleiner als ihre Transportschienen.
Transportiert Kinesin-1 einzelne Zellorganellen oder anderes Cargo, bewegt sich seine Kopfgruppe schrittweise auf einem Mikrotubulus vorwärts - die Schrittweite und die genaue Koordination solcher Schritte wurden bereits eingehend untersucht. Auch ist bekannt, wie Kinesin die Ladung an seinen Schwanz bindet. Doch wie stellen die kleinen Motorproteine sicher, dass sich beim Transport nichts verhakt? Entscheidend dafür ist: Auf wie viele Nanometer Abstand zu den Miktrotubuli hält Kinesin-1 die Ladung während des Transports? Liegt hierin die bislang ungeklärte Rolle des Teils zwischen Kopf und Schwanz?
Für den am MPI-CBG in Dresden arbeitenden Wissenschaftler Jacob Kerssemakers aus der Nachwuchsgruppe von Stefan Diez sowie Jonathon Howard (MPI-CBG) und Henry Hess (University of Florida, USA) war es eine große technische und methodische Herausforderung, einen Vorgang in dieser kleinen Dimension zu analysieren. Dieses Kunststück gelang ihnen mit einer hoch-sensitiven, indirekten Mikroskopiemethode, bei der die Forscher Moleküle, die sie vorher mit einem fluoreszierenden Farbstoff versehen hatten, über einen reflektierenden Silizium-Spiegel gleiten ließen. Nun leuchteten die Moleküle in Abhängigkeit ihres Abstandes zur Oberfläche durch Interferenzeffekte unterschiedlich stark (Fluorescence Interference Contrast: FLIC), der Abstand wird also indirekt durch die Leuchtkraft bestimmt.
Da sich die großen Mikrotubuli-Filamente mit dieser Methode besser als einzelne Kinesin-1 Moleküle erfassen lassen, bestückten die Forscher sie mit dem Farbstoff. "Das ganze System musste also auf den Kopf gestellt werden", so Kerssemakers. Die Forscher vermaßen also nicht direkt den Abstand des Motorproteins vom Mikrotubulus, sondern den Abstand, auf den Kinesin-1 die Transportschienen von der reflektierenden Oberfläche hält. Dafür überzogen sie die Spiegelfläche des FLIC-Mikroskops mit den Motorproteinen, die quasi einen "Kinesin-Rasen" bildeten. Die "Kinesin-Halme" hielten darauf aufgebrachte Mikrotubuli von sich weg - genau auf den Abstand, mit dem die Ladung sonst entlang der Schienen gleitet.
Nach exaktem Kalibrieren des Messsystems berechneten die Wissenschaftler schließlich den Abstand. Es sind laut den Wissenschaftlern 17 Nanometer, auf die Kinesin-1 die Mikrotubuli hält bzw. auf die es seine Ladung von den Mikrotubuli entfernt. Die meisten Teile, die in der Zelle zu Hindernissen werden, sind kleiner als dieser Zwischenraum. So scheinen es die raffinierten Motorproteine zu schaffen, Cargo ohne jegliche Widerstände oder Verhakungen zum Ziel zu bringen. Diese Erkenntnis bringt wahrlich Licht in einen weiteren Abschnitt der dunklen Transportwege in der Zelle.
Originalveröffentlichung: J. Kerssemakers, J. Howard, H. Hess, S. Diez; "The distance that kinesin-1 holds its cargo from the microtubule surface measured by fluorescence interference contrast microscopy"; PNAS 2006, 15812-15817.