Forscht Biotech zuviel? Riskiert Medtech zu wenig?
BioRegio STERN präsentiert neue bundesweite Umfrage zur Zusammenarbeit Medizintechnik und Biotechnologie
Die Teilnehmer aus der Biotechnologie und der Medizintechnik wareb sich einig, dass für viele Bereiche eine Erfolg versprechende Zusammenarbeit zu erwarten ist. Die Prognosen decken sich mit den Ergebnissen der Umfrage, in der die Medizintechnik die größten Kooperationspotenziale in den Bereichen Microarrays, Biochips, Biosensoren, Drug Delivery und Tissue Engineering sieht. Die Teilnehmer sahen ergänzend beispielsweise auch in der Hygiene gemeinsame Arbeitsgebiete. Der Umfrage zufolge wird die Initiative für die Zusammenarbeit künftig verstärkt von Medizintechnik-Unternehmen ausgehen, die allerdings überwiegend lockere Kooperationsformen im Auge haben.
Einig war man sich, dass auch für lockere Kooperationen "Spielregeln" und eine "gemeinsame Sprache" gefunden werden müssen, damit die sehr unterschiedlichen Branchen zueinander finden können. Als größter Hemmschuh wurden Kommunikationsprobleme identifiziert, wie sie zwischen Unternehmern und Forschern, aber auch zwischen Vertretern so unterschiedlicher Disziplinen wie Chemie und Biologie auf der einen Seite beziehungsweise Physik und Ingenieurwissenschaften auf der anderen Seite bisweilen entstehen.
Eine Forderung seitens der Medizintechniker an die Adresse der Biotechnologen lautete, vor der Kooperationspartnersuche sollten sie sich ein exaktes Bild vom potenziellen Partner machen und auch die Zielmärkte genau kennen. Schließlich geht es den Medizintechnikern, auch das ein Ergebnis der Umfrage, um die Erschließung technologischer Kompetenz und um neue Kunden. Diese konsequente Marktorientierung der Medizintechnik könnte, so die Meinung einiger Teilnehmer, einer erfolgreichen Zusammenarbeit aber auch im Wege stehen: Sollte beispielsweise ein Biotech-Unternehmen die gewünschte Menge eines Produktes nicht zusagen können, dann wäre dies aus der Sicht der meisten Medtech-Unternehmen ein klares Ausschlusskriterium. Auf der anderen Seite kann ein kleines Biotech-Unternehmen die gewünschten industriellen Mengen nur liefern, wenn es die benötigte finanzielle Unterstützung durch den Kooperationspartner erhält.
In der Podiumsdiskussion, die Marc Reinhardt von Capgemini Deutschland GmbH moderierte, wurden die Ergebnisse analysiert. Dr. Christian Wicenec, Leiter Business Environment Analysis bei der Paul Hartmann AG in Heidenheim, der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE in Frankfurt am Main, Dr. Thomas Becks, Chief Technology Officer Dr. Gerd Grenner von Roche Diagnostics aus Basel und Dr. Wolfgang Mutter, Vorstandsvorsitzender der Profos AG aus Regensburg, waren grundsätzlich optimistisch, was die gemeinsamen Zukunftsaussichten beider Branchen angeht. An klaren Worten über die Herausforderungen, die noch zu überwinden sind, ließen sie es dennoch nicht fehlen. So wurde darauf hingewiesen, dass eine Pharma-Zulassung in der Regel zehn bis zwölf Jahre benötigt, ein Medizintechnikunternehmen jedoch einen Return on Invest nach spätestens anderthalb Jahren erwartet.
Hinzu komme, dass Biotech-Unternehmen derzeit über 50 Prozent ihrer Budgets in Forschung und Entwicklung investieren, ein Medtech-Unternehmen hingegen maximal zehn Prozent. Vor diesem Hintergrund forderte Dr. Mutter die Medtech-Branche auf, mehr Risiko einzugehen. Gleichzeitig warnte er die Biotechnologie-Unternehmer: "Zuviel Nähe zu Forschern schadet eindeutig der Produktnähe und einer Fokussierung auf die Belange des Marktes."
Dr. Ralf Kindervater, Geschäftsführer der BIOPRO Baden-Württemberg GmbH, wies auf einen weiteren Aspekt der Medizintechnik hin: "Wenn man den Bereich der Instrumente und der Prothetik betrachtet, die aus Edelstahl gefertigt werden, und bekommt es dann mit einer Radikal-Innovation wie dem Tissue Engineering zu tun - da kann man nicht mehr mit CNC arbeiten, da wird es plötzlich weich und zellulär. Da brechen doch die gesamten merkantilen Strukturen, die wir bisher hier hatten, weg."
Dr. Thomas Becks widersprach energisch dem Vorwurf, die Medtech-Unternehmen seien nicht revolutionär genug: "In Deutschland existiert ein geregelter Markt. Wenn Sie mit Spitzenfunktionären der Krankenkassen sprechen, die Aussagen über die Erstattung von Kosten für neue Geräte machen, dann sagen die Ihnen hinter vorgehaltener Hand: Verwenden Sie nicht das Wort 'neu', sonst haben Sie keine Chance; nennen Sie es Weiterentwicklung, dann geht das viel eher."
Einig waren sich sämtliche Teilnehmer darüber, dass die Kooperationsanstrengungen beider Branchen über die internationale Wettbewerbsfähigkeit entscheiden werden: Der Weg zu einer Branchen übergreifenden Kommunikations- und Kooperationskultur könne nur über Veranstaltungen führen.
Letzteres unterstreichen die Ergebnisse der erwähnten Umfrage nachdrücklich: Der Austausch bei Tagungen und Messen nimmt unter den empfohlenen Lösungsansätzen den ersten Platz ein. Fast sämtliche Redebeiträge der Podiumsteilnehmer, die ein vorurteilsfreies aufeinander Zugehen beider Seiten einforderten, hieben in dieselbe Kerbe.