Resozialisierte Bakterien
Max-Planck-Forscher finden heraus, dass Mikroorganismen, die ihre Artgenossen betrügen, verlorene soziale Verhaltensweisen zurückgewinnen
Myxococcus xanthus ist ein soziales Bakterium: Die Mikroben bewegen sich gemeinsam, gehen zusammen auf die Jagd und wenn es an Nahrung mangelt, schließen sie sich zu Fruchtkörpern von über 100.000 Zellen zusammen. Allerdings überleben darin nur wenige Bakterien die harten Zeiten als widerstandsfähige Sporen. Darüber wann sie sich zu einem Fruchtkörper zusammenschließen müssen, verständigen sich die Bakterien mit biochemischen Signalen. Einige Stämme nutzen diese Signale der kooperierenden Bakterien jedoch aus. Sie können die Botenstoffe selber nicht ausschütten, verwandeln sich aber mit Hilfe der Signalen ihrer kooperativen Artgenossen viel effizienter als diese in Sporen. Wenn eine Population aus kooperierenden und betrügerischen Bakterien mehrmals hintereinander Zeiten des Mangels durchlebt, gewinnen die Betrüger so allmählich die Oberhand - bis zu wenig kooperierende Bakterien übrig sind, die dazu aufrufen, einen Fruchtkörper zu formen. In vielen Fällen stirbt die Population dann bei der nächsten Not aus. Biologen bezeichnen dies als evolutionären Selbstmord.
Doch soweit muss es nicht kommen: Das haben Forscher um Gregory Velicer an einer Population kooperierender Bakterien herausgefunden, die sie mit einem betrügerischen Stamm vermischten. Über mehrere Zyklen von Nahrungsknappheit und -überfluss gewann dieser rasch die Oberhand über die kooperierenden Bakterien. Schließlich rottete der betrügerische Stamm sogar beinahe die gesamte Population aus. In einem weiteren Zyklus haben die Wissenschaftler jedoch plötzlich wieder Sporen gefunden. Offenbar hat sich eine neue Generation der vormals betrügerischen Myxococcen so verändert, dass die Bakterien wieder kooperieren können.
Nun durchsuchten die Wissenschaftler das Erbgut nach Veränderungen, die die Resozialisierung auslösten. Hierzu nutzten sie eine Methode, die sie in Kürze in den Proceedings of the National Academy of Sciences vorstellen werden. Mit deren Hilfe fanden sie heraus, dass eine einzige Mutation ausreichte, um die betrügerischen wieder in kooperierende Bakterien zu verwandeln. Die Mutation führte dazu, dass der neue Stamm Phönix größere Mengen des Enzyms Acetyltransferase produzierte als seine Vorfahren - und sogar effektiver als seine kooperierenden Verwandten Sporen bildete. Das Enzym löst einen bislang unbekannten Mechanismus aus, der das soziale Verhalten beeinflusst. Wie genau dieser Mechanismus funktioniert, wissen die Forscher jedoch noch nicht. Jedenfalls sorgt er auch dafür, dass sich Phönix nicht mehr von seinen betrügerischen Vorfahren ausnutzen ließ. So dominierte der neue Stamm bald die gesamte Population.
Das betrügerische Verhalten mancher Myxococcen-Stämme nennen Biologen obligat: Wie Parasiten oder Symbionten, hängen sie von anderen Organismen, in diesem Fall ihrer Artgenossen, ab. Bislang wussten Biologen nicht, ob Organismen diese abhänge Lebensweise wieder ablegen können. Und wie lange es gegebenenfalls möglich bleibt, dass sich eine obligate Lebensweise zu einer unabhängigen zurückentwickelt. Nach den Erkenntnissen der Max-Planck-Wissenschaftler wahren zumindest die Myxococcen diese Chance über einige Generationen. Über den Zwischenschritt des obligaten betrügerischen Verhaltens haben sie sogar einen großen evolutionären Schritt nach vorne gemacht. Denn die Bakterien des Phönix-Stamm waren mit ihrer sozialen Lebensweise erfolgreicher als die kooperierenden Stämme, die die Betrüger verdrängt hatten. Mit ihrer Arbeit geben die Wissenschaftler einen Einblick, wie sich soziale Systeme entwickeln.
Originalveröffentlichung: F. Fiegna, Y.-T. N. Yu, S. V. Kadam, G. J. Velicer; "Evolution of an obligate social cheater to a superior cooperator"; Nature 2006.