Hepatitis B: AIDS-Medikament hilft manchmal besser
Das Medikament Lamivudin wird von der so genannten "reversen Transkriptase" - einem viralen Protein - bei der Vermehrung des Erregers in dessen Erbinformation eingebaut. Dies führt dazu, dass sich keine vollständige neue Virus-DNA mehr bilden kann. Gegen Lamiduvin entwickelt der Erreger jedoch häufig Resistenzen, so dass die Ärzte nach einiger Zeit meist auf einen anderen Wirkstoff zurückgreifen müssen. Als Alternative der Wahl galt bislang das Medikament Adefovir. Es verhindert ebenfalls die Virusvermehrung und führt nur selten zu neuen Resistenzen.
"Einige Hepatitis-B-Virusstämme scheinen aber von Natur aus nicht auf Adefovir anzusprechen", sagt der Bonner Virologe Dr. Oliver Schildgen. Zusammen mit der Arbeitsgruppe um Professor Dr. Wolfram Gerlich von der Universität Gießen hat der Bonner Wissenschaftler drei Patienten genauer untersucht, bei denen die Therapie mit Adefovir ohne Erfolg verlaufen war. Allen Testpersonen hatte man bereits vor Beginn der Behandlung eine Blutprobe entnommen und die Hepatitis B-Viren darin untersucht. "Bei allen drei Patienten wies die Virus-DNA an ein und demselben Punkt eine Mutation auf", fasst Professor Gerlich das Ergebnis zusammen. "Diese Veränderung im Erbgut scheint den Erreger natürlicherweise gegen Adefovir resistent zu machen." Das wurde im Labor durch Dr. Hüseyin Sirma und Professor Dr. Hans Will vom Heinrich-Pette-Institut in Hamburg durch Zellkultur-Studien bestätigt.
Auch das AIDS-Virus verfügt über eine reverse Transkriptase, an die beispielsweise das AIDS-Medikament Tenofovir angreift. Da sie der reversen Transkriptase aus dem Hepatitis B-Virus ähnelt, wirkt Tenofovir auch gegen den Erreger der Leberentzündung. Bislang ist das Medikament aber nicht zur Behandlung von Hepatitis-Patienten zugelassen. Wenn Adefovir versagt, sollte Tenofovir zudem ebenfalls nicht helfen - so zumindest die Erwartung der Fachleute. Experten sprechen von einer "Kreuzresistenz". Bei den drei Patienten der Studie versuchten die behandelnden Ärzte auch auf Anraten des Bonner Infektiologen Professor Dr. Jürgen Rockstroh dennoch die Therapie mit Tenofovir. Sie funktionierte hervorragend: Bis zu 500 Millionen Kopien Hepatitis B-DNA pro Milliliter fanden die Forscher nach Ende der erfolglosen Adefovir-Therapie im Blut ihrer Probanden. Die Tenofovir-Therapie drückte diesen Wert innerhalb von ein bis zwei Jahren unter die Nachweisschwelle von 30 Kopien pro Milliliter. "Seit einem Jahr finden wir im Blut unserer Patienten keine Virus-DNA mehr", sagt Professor Gerlich. Dass das Virus komplett eliminiert wurde, hält er dennoch für unwahrscheinlich. "Wenn wir die Therapie beenden, wird sich der Erreger wahrscheinlich wieder vermehren."
Diese Erkenntnisse waren überraschend, da bei zwei großen klinischen Studien des Herstellers von Adefovir mit jeweils 400 Patienten keine solchen "primären" Resistenzen festgestellt worden waren. Es ist lediglich der Aufmerksamkeit zweier niedergelassener Ärzte zu verdanken, Professor Heinz Hartmann in Herne und Martin Helm in Nürnberg, dass sie das unerwartete Therapieversagen bemerkten und die Proben der Patienten zur genaueren Untersuchung an die Laboratorien von Professor Gerlich und Dr. Schildgen sandten. Aus Schildgens Sicht zeigt die Studie, wie wichtig eine differenzierte Diagnose vor Beginn der Behandlung ist. "Hepatitis B ist nicht gleich Hepatitis B. Was gegen den einen Erregerstamm wirkt, kann gegen einen anderen völlig ohne Erfolg bleiben."