Gibt es ein Tempolimit für das Denken?

Göttinger Max-Planck-Forscher haben Geschwindigkeitsbeschränkung in komplexen neuronalen Netzwerken entdeckt

09.03.2004

Die neuronalen Netzwerke im Gehirn bestehen aus einer Vielzahl ähnlicher Komponenten, die in scheinbar zufälliger Weise untereinander verbunden sind. Die Nervenzellen kommunizieren miteinander durch den Austausch von Pulsen über ihre Verbindungsstellen, die Synapsen. Doch anders als Atome in einem Kristall, die in einem regelmäßigen Gitter angeordnet sind, wachsen die synaptischen Verbindungen zwischen Nervenzellen hochgradig unregelmäßig. Neuro-Physiker des Göttinger Max-Planck-Instituts für Strömungsforschung und der Fakultät für Physik der Universität Göttingen sind jetzt der Frage nachgegangen, wie schnell sich die zahlreichen Komponenten eines komplexen Netzwerkes überhaupt koordinieren bzw. synchronisieren können. In Netzwerken pulsgekoppelter Oszillatoren, also einfachen Modellen neuronaler Netzwerke im Gehirn, entdeckten sie, dass die Geschwindigkeit der Synchronisation zwischen Nervenzellen eine obere Grenze hat, die von der Dichte ihrer Verschaltungen abhängt. (Physical Review Letters, 20. Februar 2004). Danach kann auch für die Informationsverarbeitung im Gehirn und unser Denken und Handeln eine Art Maximalgeschwindigkeit bestehen. Um zu klären, welchen Einfluss die Struktur eines Netzwerks auf das kollektive Verhalten seiner Elemente hat, verwendeten die Göttinger Forscher die Theorie der so genannten Zufalls-Matrizen. Begründet durch Arbeiten von Eugene Wigner, der seinerzeit über Korrelationen zwischen Energieniveaus in Atomkernen arbeitete, wurde die Theorie der Zufalls-Matrizen seit den 1950er Jahren ausführlich untersucht. Seither hat sich der Anwendungsbereich dieser Theorie ständig erweitert und umfasst heute viele verschiedenartige Phänomene, die von quantenmechanischen Aspekten des Chaos bis hin zu Preis-Fluktuationen auf Finanzmärkten reichen.

Marc Timme, Fred Wolf und Theo Geisel haben nun gezeigt, dass die Theorie der Zufalls-Matrizen auch dafür geeignet ist, die Dynamik in komplexen Netzwerken zu analysieren. Dieses neuartige Herangehen erlaubt es, systematisch zu erforschen, welche Auswirkungen die Topologie, also die innere Struktur eines Netzwerks, auf seine Dynamik hat. Mit Hilfe der Zufalls-Matrix-Theorie haben die Göttinger Wissenschaftler mathematische Ausdrücke gefunden, mit deren Hilfe sich präzise bestimmen lässt, wie schnell Neurone ihre Aktivität koordinieren können, also auch, wie schnell sich neuronale Netzwerke synchronisieren können. Diese mathematischen Ausdrücke sagen die Abhängigkeit der Synchronisationsgeschwindigkeit von Eigenschaften einzelner Neurone wie auch von der Netzwerktopologie genau vorher.

Wie intuitiv zu erwarten war, fanden die Max-Planck-Forscher, dass Neurone sich umso schneller synchronisieren, je stärker die synaptischen Verbindungen zwischen ihnen sind. Überraschend zeigt diese Studie aber auch, dass es eine Geschwindigkeitsbeschränkung für die Synchronisation des Netzwerks gibt: Auch bei beliebig starken Wechselwirkungen kann die Synchronisationsgeschwindigkeit nicht schneller sein als eine maximale Grenzgeschwindigkeit. Dieses Tempolimit wird durch die komplizierte Verschaltungs-Struktur des Netzwerkes festgelegt und würde nicht auftreten, wenn jedes Neuron mit jeder anderen Nervenzelle in dem Netzwerk verbunden wäre. Diese Grenze für die Synchronisationsgeschwindigkeit beruht darauf, dass sogar dann, wenn nur ein einziges Neuron vom vollständig synchronen Verhalten des neuronalen Netzes abweicht, diese Information über das gesamte Netzwerk transportiert werden muss, bevor es wieder zu einer vollständigen Synchronisation kommt.

"Unter der Voraussetzung, dass diese Analyse die Schlüsselmechanismen zur Koordination der Aktivität in neuronalen Netzwerken des Gehirns qualitativ korrekt beschreibt, bedeutet dies, dass die Geschwindigkeit neuronaler Informationsverarbeitung, also unser Denken und Handeln, erheblich durch die Verschaltungs-Struktur des Netzwerks beschränkt wird", sagt Prof. Theo Geisel, Direktor am Max-Planck-Institut für Strömungsforschung. "So hat unsere Analyse gezeigt, dass in Zufallsnetzwerken die Synchronisationsgeschwindigkeit nur sehr langsam mit der mittleren Anzahl von Verbindungen pro Neuron zunimmt. Das bedeutet also, dass Hirn-Areale, in denen ein schneller Informationsaustausch essentiell ist, hochgradig vernetzt sein müssen, um ihre Funktion adäquat erfüllen zu können."

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

So nah, da werden
selbst Moleküle rot...