Gibt es ein Tempolimit für das Denken?
Göttinger Max-Planck-Forscher haben Geschwindigkeitsbeschränkung in komplexen neuronalen Netzwerken entdeckt
Marc Timme, Fred Wolf und Theo Geisel haben nun gezeigt, dass die Theorie der Zufalls-Matrizen auch dafür geeignet ist, die Dynamik in komplexen Netzwerken zu analysieren. Dieses neuartige Herangehen erlaubt es, systematisch zu erforschen, welche Auswirkungen die Topologie, also die innere Struktur eines Netzwerks, auf seine Dynamik hat. Mit Hilfe der Zufalls-Matrix-Theorie haben die Göttinger Wissenschaftler mathematische Ausdrücke gefunden, mit deren Hilfe sich präzise bestimmen lässt, wie schnell Neurone ihre Aktivität koordinieren können, also auch, wie schnell sich neuronale Netzwerke synchronisieren können. Diese mathematischen Ausdrücke sagen die Abhängigkeit der Synchronisationsgeschwindigkeit von Eigenschaften einzelner Neurone wie auch von der Netzwerktopologie genau vorher.
Wie intuitiv zu erwarten war, fanden die Max-Planck-Forscher, dass Neurone sich umso schneller synchronisieren, je stärker die synaptischen Verbindungen zwischen ihnen sind. Überraschend zeigt diese Studie aber auch, dass es eine Geschwindigkeitsbeschränkung für die Synchronisation des Netzwerks gibt: Auch bei beliebig starken Wechselwirkungen kann die Synchronisationsgeschwindigkeit nicht schneller sein als eine maximale Grenzgeschwindigkeit. Dieses Tempolimit wird durch die komplizierte Verschaltungs-Struktur des Netzwerkes festgelegt und würde nicht auftreten, wenn jedes Neuron mit jeder anderen Nervenzelle in dem Netzwerk verbunden wäre. Diese Grenze für die Synchronisationsgeschwindigkeit beruht darauf, dass sogar dann, wenn nur ein einziges Neuron vom vollständig synchronen Verhalten des neuronalen Netzes abweicht, diese Information über das gesamte Netzwerk transportiert werden muss, bevor es wieder zu einer vollständigen Synchronisation kommt.
"Unter der Voraussetzung, dass diese Analyse die Schlüsselmechanismen zur Koordination der Aktivität in neuronalen Netzwerken des Gehirns qualitativ korrekt beschreibt, bedeutet dies, dass die Geschwindigkeit neuronaler Informationsverarbeitung, also unser Denken und Handeln, erheblich durch die Verschaltungs-Struktur des Netzwerks beschränkt wird", sagt Prof. Theo Geisel, Direktor am Max-Planck-Institut für Strömungsforschung. "So hat unsere Analyse gezeigt, dass in Zufallsnetzwerken die Synchronisationsgeschwindigkeit nur sehr langsam mit der mittleren Anzahl von Verbindungen pro Neuron zunimmt. Das bedeutet also, dass Hirn-Areale, in denen ein schneller Informationsaustausch essentiell ist, hochgradig vernetzt sein müssen, um ihre Funktion adäquat erfüllen zu können."