Bakterien lösen mit Generalschlüssel Blutgerinnung aus

Max-Planck-Wissenschaftler beobachten erstmals, wie bakterielle Proteine menschliche Blutgerinnungsfaktoren aktivieren und Thrombosen verursachen können

08.10.2003

Strukturforschern des Max-Planck-Instituts für Biochemie in Martinsried ist es erstmals gelungen, die Kristallstruktur einer Vorstufe des menschlichen Blutgerinnungsfaktors Thrombin im Augenblick seiner Aktivierung durch ein bakterielles Protein aufzuklären. Bereits vor dreißig Jahren hatten die Forscher einen Aktivierungs-Mechanismus postuliert, bei dem ein Fremdprotein seinen N-Terminus dazu benutzt, um eine inaktive Proteinase-Vorstufe in ihre aktive Form zu überführen. Diesen Vorgang verbildlichten sie sich als "Molekulare Sexualität". Durch die jetzt durchgeführte Kristallstrukturanalyse des Präthrombin-Komplexes mit dem bakteriellen Protein Staphylocoagulase konnte diese Hypothese nun bewiesen werden. Die Wissenschaftler veröffentlichen ihre Ergebnisse in der neuesten Ausgabe von Nature (Nature, 2. Oktober 2003). Blutgerinnung verhindert nach einer Verletzung übermäßigen Blutverlust und gewährleistet die Wundheilung. Unkontrollierte Gerinnung dagegen kann zur Verstopfung von Blutgefäßen (Thrombose) und schließlich zum Tode führen. Daher ist es wichtig, die Blutgerinnung und die daran beteiligten Faktoren genau zu erforschen. Die Abteilung Strukturforschung am Max-Planck-Institut für Biochemie widmet sich unter Leitung des Nobelpreisträgers Robert Huber schon seit über dreißig Jahren der Strukturaufklärung einer Vielzahl von Proteinen. Hierbei leistete Wolfram Bode wichtige Beiträge zur Analyse von Proteinen, die an der Blutgerinnung beteiligt sind, womit wichtige Informationen für die Entwicklung von Blutgerinnungs-Therapeutika gewonnen werden konnten.

Bei der Verletzung von Gewebe werden im Körper sofort verschiedene SOS-Mechanismen ausgelöst, um den Blutverlust im Bereich der Wunde zu stoppen. Die Austrittsstelle wird dabei mit einem dichten Geflecht aus Proteinen und Blutplättchen verschlossen. Doch damit sich dieses Netz bilden kann, muss eine Reihe von hintereinander geschalteten Reaktionen in Gang gesetzt werden, die von Blutgerinnungsfaktoren gesteuert werden. Bei diesen Faktoren handelt es sich vor allem um Enzyme, die zunächst als inaktive Vorstufen vorliegen. Sie müssen erst von dem jeweiligen vorgeschalteten Enzym an einer spezifischen Stelle gespalten werden (Proteolyse), um selbst aktiv zu werden, woraufhin sie dann ihrerseits die nächste inaktive Vorstufe spalten. Enzyme, die auf diese Weise arbeiten, bezeichnet man als Proteasen.

Bei einer Verletzung wird die erste Protease dieser Reaktionskaskade aktiviert, woraufhin dann auch alle weiteren Proteasen aktiv werden und schließlich die Blutgerinnung herbeiführen. Eine wichtige Reaktion ist dabei die Umwandlung des inaktiven Prothrombins in das aktive Thrombin. Später leitet eine ähnliche Reaktionsreihe die Auflösung der Blutgerinnsel ein (Fibrinolyse), damit das Blut wieder normal durch die Gefäße fließen kann.

Bei einer Infektion mit Bakterien kann dieses natürliche Gleichgewicht aus der Balance geraten: Bestimmte Bakterienarten scheiden spezielle Proteine aus, die feste Komplexe mit den Protease-Vorstufen ihres Wirtes bilden. Besonders betroffen davon sind die Protease-Vorstufen der Blutgerinnungs- und Fibrinolyse-Systeme. Sie werden dadurch ohne die normale proteolytische Reaktion direkt aktiviert - also auch, wenn gar keine Verletzung vorliegt. Sind die Bakterien übermäßig aktiv, lösen sie bestimmte Krankheitsbilder aus; so führt eine Infektion mit Staphylokokken zu Blutvergiftung (Sepsis) und Entzündung der Herzinnenwand (Endokarditis), die ohne Behandlung durch Antibiotika immer tödlich verlaufen.

Schon vor langem hatten Huber und Bode die Hypothese aufgestellt, dass bakterielle Proteine den Aktivierungsmechanismus der Proteasen imitieren können. Der normale Mechanismus beruht darauf, dass eine Protease, nachdem sie gespalten wurde, das neu entstandene Ende in die Nähe einer anderen Region, ihre Aktivierungstasche, bringt. Dadurch verhilft sie sich selbst zu ihrer endgültigen räumlichen Form und nimmt ihren aktiven Zustand ein. Wie wichtig dieses Ende, insbesondere seine beiden letzten Bausteine (Aminosäuren) für die Aktivierung der Protease-Vorstufen ist, wurde schon früher durch zahlreiche Experimente bestätigt. Nun besitzen einige bakterielle Proteine, die Protease-Vorstufen aktivieren können, eine ganz ähnliche Aminosäure-Zusammensetzung an einem ihrer Enden. Dies brachte Bode auf die Idee, dass auch die Bakterien - analog zu den geschnittenen Proteasen ihr Ende in die Aktivierungstasche von Protease-Vorstufen stecken und sie dadurch aktivieren können. Er gab auch diesem Mechanismus seinen Namen, der seitdem als "Molekulare Sexualität" bezeichnet wird.

Jetzt gelang es Rainer Friedrich, Pablo Fuentes-Prior und Wolfram Bode aus der Abteilung Strukturforschung in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern von Paul Bock an der Vanderbilt-Universität in Tennessee/USA, erstmals den strukturellen Beweis für diese Hypothese zu erbringen. Sie kristallisierten Proteinkomplexe des humanen Thrombins und einer seiner Vorstufen, Präthrombin-2, mit jeweils einem voll funktionsfähigen Fragment des Proteins Staphylocoagulase aus Staphylococcus aureus und bestimmten ihre räumlichen Strukturen. Die Strukturanalyse zeigte deutlich, dass die endständigen Aminosäuren der Staphylocoagulase gemäß der "Molekulare- Sexualität"-Hypothese tief in die Aktivierungstasche des Prothrombins greifen. Weitere Experimente mit verkürzten Varianten des bakteriellen Proteins machten zudem deutlich, dass die endständigen Aminosäuren essentiell für die Aktivierung der Thrombin-Vorstufe sind. Allerdings zeichnet sich eine gewisse Promiskuität des Vorgangs ab: So ist eine Aktivierung auch mit Varianten möglich, die eine Aminosäure länger oder kürzer sind.

Beim Vergleich der Aminosäure-Abfolge der Staphylocoagulase mit denen von bereits bekannten Proteinen aus Datenbanken entdeckten die Forscher eine hohe Ähnlichkeit zu fünf anderen Proteinen, die teilweise als Plasmaprotein-bindende Faktoren bekannt sind. Diese Proteine wurden von den Wissenschaftlern jetzt zur Klasse der ZAAPs (Zymogen-Aktivierungs- und Adhäsions-Proteine) zusammengefasst. Interessanterweise weisen andere bakterielle Aktivatoren wie die Streptokinase keine strukturelle Verwandtschaft zu den ZAAPs auf, wohl aber eine ähnliche Zusammensetzung der endständigen Aminosäuren. Für sie wurde bereits gezeigt, dass auch sie für die Aktivierung des Plasminogens, des Vorläuferproteins für Plasmin, das die Fibrinolyse einleitet, ihre Endregion benötigen.

Die Tatsache, dass sich strukturell völlig verschiedene Enzyme dieses Mechanismus bedienen, legt seine Allgemeingültigkeit für die nichtproteolytische Aktivierung von Protease-Vorstufen nahe. Damit steht er jetzt gleichberechtigt neben dem klassischen Aktivierungsweg von Protease-Vorstufen durch proteolytische Spaltung. Darüber hinaus kann diese Erkenntnis bei der Entwicklung neuer Therapien helfen. Die Martinsrieder Forscher arbeiten bereits an der Synthese von Antikörpern gegen diese speziellen Endregionen, um weitere bakterielle Proteine und Kleinmoleküle aufzuspüren, die Protease-Vorstufen aktivieren. Durch ihre Analyse erhoffen sie sich die Entwicklung von Hemmstoffen, die die Endregionen der bakteriellen Proteine blockieren. Gegen ihre Wirkungsweise bei Infektionen durch Bakterien könnte somit ein sicheres "Verhütungsmittel" gefunden werden.

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