DNA zippen

Neue DNA-Transportmethode

16.11.2017 - Schweiz

ETH-Forscher haben eine Methode entwickelt, mit der sich grosse Mengen genetischer Information komprimieren und in Zellen wieder dekomprimieren lassen. Das könnte bei der Entwicklung neuartiger Therapien helfen.

Grafik: Science animated by Bara Krautz bara@scienceanimated

Die Erbsubstanz wird für den Transport in die Zelle wie eine Computerdatei komprimiert und in der Zelle entpackt.

Was tun, wenn sich ein umfangreiches Dokument oder ein hochauflösendes Bild nicht per E-Mail verschicken lässt? – Man zippt es mit einer geeigneten Software auf handliche Grösse. «Anstelle der Information ‘weiss-weiss-weiss–weiss-weiss-…’ für jeden einzelnen Pixel einer weissen Linie, wird nur noch die Botschaft ‘1000mal weiss’ übermittelt», erklärt Kobi Benenson, Leiter der Gruppe Synthetische Biologie am ETH-Departement Biosysteme in Basel. Beim Empfänger angekommen, lässt sich die Information wieder auf die ursprüngliche Grösse aufblasen, also entzippen.

Limitierte Transportkapazität

Dieses Verfahren bei digitalen Daten inspirierte Benenson und seinen Mitarbeiter Nicolas Lapique zu einer neuartigen Lösung für biologische Systeme: Sie tüftelten eine Methode aus, mit der sich die Erbsubstanz DNA zippen lässt: Für den Transport in Zellen hinein wird sie verdichtet und innerhalb der Zellen zu voll funktionsfähiger genetischer Information zusammengebaut.

Eine solche Lösung könnte für Biologen, insbesondere in der Synthetischen Biologie oder der Biotechnologie, nützlich werden. Denn sie stossen an Grenzen, wenn sie grosse Mengen von Informationen in Form von DNA in Zellen einschleusen wollen. Das Problem: Die Transportvehikel, die sie derzeit dafür einsetzen, lassen sich nur mit einer begrenzten Menge DNA beladen.

Wiederholungen aus DNA entfernen

Das Grundprinzip hinter der neuartigen DNA-Verdichtung entspricht dem beim Zippen einer digitalen Datei: «Elemente, die in der DNA-Sequenz, die eingeschleust werden soll, mehrmals vorkommen, werden nur einmal übertragen», sagt Benenson.

Das betrifft beispielsweise Promotoren, also Abschnitte auf der DNA, die regulieren, ob und wie das zugehörige Gen abgelesen wird. Enthält nun die DNA, die in eine Zelle transportiert werden soll, vier verschiedene Gene, die alle den gleichen Promotor haben, wird dieser nur einmal mitgeliefert.

Knapp verpackt und am Ziel wieder montiert

Doch das Ausmerzen der Redundanzen ist noch nicht alles. Die ETH-Forschenden setzen die DNA für den Transport in die Zelle auch nach speziellen Regeln zusammen. Benenson spricht von einer «komprimierten Kodierung».

Die vier Gene aus unserem Beispiel bekommen also vorneweg als Erstes einen gemeinsamen Promotor. Dahinter reihen die Forscher die vier kodierenden Gensequenzen kompakt auf dem DNA-Doppelstrang auf. Sie versehen das Ganze mit einzelnen Stopp-Sequenzen und – ganz wichtig – verschiedenen Bindungsstellen für eine Rekombinase. Dieses Enzym kann DNA-Stränge öffnen, drehen und neu zusammenfügen.

«Die Rekombinase übernimmt die Rolle der Dekompressions-Software», erklärt Benenson. Sie stellt sicher, dass die Bestandteile der komprimierten DNA in der Zelle voll funktionsfähig zusammengesetzt werden. Für die vier Beispiel-Gene heisst das, dass jedes davon neu montiert wieder seinen eigenen Promotor erhält.

Genetische Programme erkennen Tumorzellen

Benenson und Lapique konnten zeigen, dass sich mit der neuen Methode in Säugetierzellen tatsächlich grosse «genetische Programme» einschleusen lassen. «Diese sind menschgemacht und führen in den Zellen bestimmte Aufgaben aus», erklärt Benenson. Will heissen, sie umfassen ein ganzes Arsenal von biologischen Komponenten wie Proteinen und Ribonukleinsäuren (RNA), die in der Zelle koordiniert auf ein gemeinsames, von den Wissenschaftlern definiertes Ziel hinarbeiten. In der Biotechnologie könnten auf diese Weise bestimmte komplex aufgebaute Substanzen, wie Wirkstoffe für Medikamente, hergestellt werden.

Benensons Gruppe arbeitet allerdings an genetischen Programmen, die in Zukunft viel kompliziertere Aufgaben meistern sollen. Zum Beispiel sogenanntes «cancer targeting». Das bedeutet, dass das Programm in einer Zelle bestimmte Stoffe, sogenannte Marker, erkennen kann. Je nach deren Konzentration entscheidet es, ob die Zelle gesund ist oder ob es sich um eine Tumorzelle handelt – welche das Programm selbständig abtöten kann. Eine Art All-in-one Lösung für die Tumorbekämpfung also, die von der Untersuchung über die Diagnose bis zur Therapie reicht. Die Forscher konnten zeigen, dass der Ansatz in Zellkulturen funktioniert, und sie möchten in nun auch in lebenden Organismen testen.

Genauere Diagnose dank neuer Methode

Mit den derzeitigen verfügbaren DNA-Transportvehikeln ist die Treffsicherheit bei der Entscheidung, ob es sich um eine gesunde oder eine Krebszelle handelt, noch nicht hoch genug. Der Grund dafür ist, dass bisher nicht genügend verschiedene Marker auf einmal eingesetzt werden können, weil nur eine begrenzte DNA-Menge übermittelt werden kann.

«Eine Kombination von vier bis sechs Markern wäre optimal», erklärt Benenson. Doch um alle diese detektieren zu können, ist auch die entsprechende Anzahl Sensoren notwendig, welche die Marker erkennen. Mehr Sensoren – es handelt sich um Proteine, RNA- und DNA-Komponenten – heisst aber auch mehr DNA, die als deren Bauplan in die Zelle hinein muss.

Nun hoffen sie, das Programm mithilfe des neuen DNA-Komprimierungs und -Dekomprimierungsverfahrens um weitere Sensoren erweitern und so die Trefferquote erhöhen zu können.

Anleihen bei Informationstechnologie

Dass die genetischen Programme, die Benenson und Lapique entwickeln, logisch aufgebaut sind und ähnlich funktionieren wie Computerprogramme, ist kein Zufall. «Wir lassen uns oft von Computerwissenschaften und Informationstechnologie für unsere Forschung inspirieren», erklärt Benenson. Ihm macht es sichtlich Spass, «outside the box» zu denken. Im Fall der neuen DNA-Transportmethode könnte man also sagen: Zum Glück gibt es Grössenbeschränkungen bei E-Mail-Anhängen.

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