Der richtige Insulin-Rhythmus entscheidet

Forscher decken eine mögliche Ursache der Entwicklung früher Diabetes auf

09.11.2017 - Deutschland

Eine lebenswichtige Funktion der Leber ist es, den Zucker- und den Fetthaushalt im Körper zu regulieren: In Zeiten ohne Nahrungsaufnahme bildet sie den Zucker Glukose und stellt diese Produktion direkt nach dem Essen wieder ein, da nun Glukose über den Darm aus der Nahrung gewonnen wird. Das Signal dafür, keine Glukose mehr abzugeben, erhält die Leber aus der Bauchspeicheldrüse durch das Hormon Insulin. Bei einer Diabeteserkrankung kommt dieses Signal zu spät und abgeschwächt – die Folge ist unter anderem ein zu hoher Blutzuckerspiegel nach dem Essen. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und des Braunschweiger Systembiologie-Zentrums BRICS haben diese Zusammenhänge mit einem mathematischen Modell für Leberzellen untersucht und festgestellt, dass die Menge des Insulin-Signals nicht allein entscheidend ist, sondern die pulsartige Form der Insulinabgabe an die Leber. Infektionen oder systemische Entzündungen, die die Bauchspeicheldrüse betreffen, können diese Form verändern und so erste Symptome von Diabetes verursachen.

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Laut Deutschem Gesundheitsbericht Diabetes 2017 sind derzeit etwa 6,7 Millionen Deutsche an Diabetes erkrankt.

Neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs ist Diabetes eine der großen Volkskrankheiten der modernen Gesellschaft. Der aktuelle Deutsche Gesundheitsbericht Diabetes geht mittlerweile von 6,7 Millionen Erkrankten in Deutschland aus, wovon allerdings rund zwei Millionen bislang nicht diagnostiziert sind. Bei einer frühen Diabeteserkrankung des Typs 2 ist die Regulation des Glukosehaushaltes durch die Leber gestört: Normalerweise bildet die Leber selbst nur dann Glukose, wenn keine Nahrung aufgenommen wurde, um einen konstanten Spiegel zu halten. Direkt nach dem Essen gewinnt der Körper Glukose aus den Lebensmitteln. Damit der Glukosespiegel dann nicht zu hoch wird, setzt die Bauchspeicheldrüse das Hormon Insulin frei, das wiederum die Glukoseproduktion in der Leber hemmt. Daran gekoppelt ist auch eine erhöhte Lipidproduktion, also die Regulation des Fetthaushalts.

Die genauen Zusammenhänge dieser Regulationsmechanismen waren bislang nicht vollständig bekannt. Braunschweiger Forscher des HZI und des BRICS haben ein mathematisches Modell von Leberzellen entwickelt und damit die zellulären Auswirkungen veränderter Insulingaben untersucht.

In einem gesunden Körper produzieren sogenannte Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse das Insulin in einem Takt von fünf Minuten. Nach dem Essen wird die Amplitude dieser Insulin-Pulse innerhalb von 30 Minuten erhöht. „Infektionen oder Entzündungen, die die Bauchspeicheldrüse betreffen, können die Erhöhung der Amplitude stören. Um deren Bedeutung zu untersuchen, haben wir in unserem Modell die Form der Insulin-Pulse verändert und dabei die Menge des Hormons immer gleich gelassen“, sagt Zhao. Das Ergebnis: Bekam die Leber innerhalb von 30 Minuten nach dem Essen Insulin-Pulse mit der für Diabetes-Patienten typischen gestörten Form, führte das schließlich zu frühzeitig erhöhten Glukose- und verspätet erhöhten Fettwerten – wie bei früher Diabetes.

Das Augenmerk der Forscher lag auf zwei Signalmolekülen in den Leberzellen, bezeichnet als Akt und aPKC, über die das Insulin den Glukose- und Fetthaushalt steuert. Das Molekül aPKC – kurz für „atypische Proteinkinase C“ – hemmt die Produktion von Glukose und verstärkt die Produktion von Fetten. Die Modellrechnungen haben gezeigt, dass aPKC – im Gegensatz zu Akt – auf Veränderungen der Form des Insulinsignals reagiert. „Eine korrekte Form der Insulin-Pulse ist notwendig, um aPKC zunächst hochzuregulieren und dann auch rechtzeitig wieder auszuschalten. Wenn die aPKC-Abschaltung zu spät oder gar nicht einsetzt, hat dies zur Folge, dass sowohl zu viel Glukose also auch mehr Fettegewebe produziert wird“, sagt Michael Meyer-Hermann. „Damit trägt unser Modell zum Verständnis der sogenannten selektiven Insulinresistenz in Diabetes-Patienten bei, bei der die Leber nach dem Essen sowohl einen zu hohen Blutzuckerspiegel als auch einen zu hohen Fettspiegel generiert.“

Die Modellrechnungen haben gezeigt, wie die dynamische Form eines Signals – hier von Insulin – entscheidend für seine Funktion sein kann – in diesem Fall also für die Regulation des Glukose- und Fetthaushaltes in der Leber. „Wird die Form der Fünf-Minuten-Pulse der Insulinabgabe in der Bauchspeicheldrüse gestört, kann eine gesunde Leber eine Insulinresistenz ausbilden – ein früher Schritt zu einer Diabeteserkrankung“, sagt Michael Meyer-Hermann. Außerdem fördere das Signalmolekül aPKC bei zu starker Aktivität chronische Entzündungen, was eine weitere Folge des gestörten Insulinrhythmus sein könne. „Wir sind überzeugt davon, dass die dynamische Rhythmik von Signalen für deren Funktionalität entscheidend ist und dass dies auch auf viele andere Signalwege zutrifft“, sagt Meyer-Hermann. Die Modellrechnungen sind in enger Kooperation mit den HZI-Arbeitsgruppen „Modellsysteme für Infektion und Immunität“ von Prof. Dagmar Wirth und „Systemorientierte Immunologie und Entzündungsforschung“ von Prof. Ingo Schmitz im Rahmen des von der Helmholtz-Gemeinschaft geförderten Projektes „Metabolic Dysfunction and Human Disease“ entstanden.

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