Wie Killerzellen Tumoren den Garaus machen

08.06.2017 - Schweiz

Die Immuntherapie bei Krebs feiert erste Erfolge – bei den ihr zugrundeliegenden Wirkmechanismen gibt es jedoch noch viele Wissenslücken. ETH-Forschende zeigen nun bei Mäusen mit Weichteiltumoren, wie körpereigene Killerzellen die Tumore anhand von Schläfer-Viren im Genom aufspüren.

Schliemann et al.: Cancer Immunol Res 2015, 3: 547

Krebsimmuntherapie unter dem Mikroskop: In der Bildmitte attackieren drei Killerzellen (violett, kleiner) eine Krebszelle (violett, grösser; hier im Bild sind Leukämiezellen).

F8-TNF heisst der vielversprechende Wirkstoff. In die Blutbahn injiziert, lockt er Killerzellen des körpereigenen Immunsystems zu Weichteilkrebsgeschwüren (Sarkomen), worauf die Killerzellen den Tumoren den Garaus machen. Forschende der ETH Zürich unter der Leitung von Dario Neri, Professor am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften, haben F8-TNF vor vier Jahren entwickelt. In der Zwischenzeit konnten sie zeigen, dass er in Kombination mit einem Chemotherapeutikum in Mäusen Sarkome komplett heilen kann. Eine solche Heilung ist mit dem Chemotherapeutikum alleine oder mit anderen Therapieansätzen nicht möglich. Ein mit F8-TNF eng verwandter Wirkstoff wird mittlerweile im Rahmen von klinischen Studien bei Menschen getestet.

Das aus zwei Untereinheiten bestehende F8-TNF-Molekül arbeitet ähnlich wie ein Ladendetektiv: So wie ein Detektiv einen Ladendieb aufspürt und ihn bis zum Eintreffen der Polizei festhält, erkennt das Molekül mit seiner F8-Untereinheit Krebszellen. Mit seinem TNF-Teil lockt es Killerzellen (cytotoxische T-Zellen) an. TNF ist ein Botenstoff des Immunsystems.

Ins Genom eingenistet

Vieles zum Wirkmechanismus des Moleküls war bisher jedoch noch unklar. Die Wissenschaftler in Neris Gruppe gingen dem nun auf den Grund. Sie wollten unter anderem herausfinden, wie die zum Tumor gerufenen Killerzellen den Tumor erkennen. Die Killerzellen werden zwar vom Botenstoff TNF alarmiert, dieser dient ihnen jedoch nicht als spezifisches Tumor-Erkennungszeichen.

Die Wissenschaftler entdeckten, dass es Proteine von speziellen Schläfer-Viren (endogenen Retroviren) sind, die den von F8-TNF auf den Plan gerufenen Killerzellen helfen. Der genetische Bauplan dieser Viren hat sich im Laufe der Evolution ins Mäusegenom eingenistet. In vielen Krebszellen werden die Virusproteine zum Leben erweckt – und es sind Bruchstücke solcher Retrovirusproteine auf der Oberfläche von Tumorzellen, dank welcher die Killerzellen Krebszellen von gesunden Körperzellen unterscheiden können.

Immunschutz gegen Krebs

Ausserdem beobachteten die Wissenschaftler, dass Mäuse, die mit F8-TNF von Sarkomen geheilt worden sind, auch später noch transplantiertes Gewebe verschiedener Tumorarten abstiessen. «Die Mäuse scheinen eine Art Immunschutz gegen Krebs erworben zu haben. Wie sich herausstellte, sind auch für diesen Schutz Killerzellen verantwortlich, welche die verschiedenen Tumorarten anhand der Schläfer-Viren-Proteine erkennen», sagt Philipp Probst, Doktorand in Neris Gruppe.

Bei der Krebsimmuntherapie wird das körpereigene Immunsystem aktiviert, um Tumore zu bekämpfen. In der Vergangenheit gingen viele Wissenschaftler davon aus, dass dabei veränderte Proteine an der Oberfläche von Tumorzellen den Killerzellen als Erkennungszeichen und Angriffspunkt dienen. Denn Tumore sind entartetes Körpergewebe; sie entstehen als Folge von bestimmten Genmutationen in einer Vorläuferzelle, was Proteinveränderungen zur Folge haben kann. «In einigen Fällen können mutierte Proteine durchaus das Unterscheidungskriterium sein», sagt Neri. «In unserer Arbeit bestätigen wir jedoch, dass Killerzellen auch andere Unterscheidungskriterien nutzen können, nämlich das Vorhandensein oder die Abwesenheit von Retrovirus-Proteinen.»

Hilfreich für das Verständnis

«Wir können jetzt nicht nur Sarkome in Mäusen heilen, sondern kennen auch den dieser Therapie zugrundeliegende Mechanismus», sagt Probst. Bei dem noch neuen Feld der Krebsimmuntherapie sei es wichtig, deren zugrundeliegenden die Mechanismen zu verstehen. Dies auch, um voraussagen zu können, bei welchen Patienten welche Therapie am meisten Erfolg verspreche.

Ob die gemachte Beobachtung bei Mäusen auch auf Menschen zutrifft, wird man in weiterer Forschungsarbeit herausfinden müssen. Auch das Genom des Menschen ist voll von Gensequenzen schlummernder Viren. Auf jeden Fall kann das Wissen helfen, die Ergebnisse von klinischen Studien zu interpretieren. Für den mit F8-TNF verwandten Wirkstoff L19-TNF werden in Deutschland bald klinische Studien der dritten und letzten Phase beim Menschen beginnen, in den USA werden Anträge auf solche Studien derzeit von den Behörden geprüft.

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