Detaillierter Blick auf molekularen Gifttransporter

31.05.2017 - Schweiz

Transportproteine in unseren Körperzellen schützen uns vor gewissen Vergiftungen. Forschende der ETH Zürich und der Universität Basel haben nun die hochaufgelöste dreidimensionale Struktur eines bedeutenden menschlichen Transportproteins aufgeklärt. Langfristig könnte dies helfen, neue Medikamente zu entwickeln.

ETH Zürich / Scott Jackson, Ioannis Manolaridis, Kaspar Locher

Das Transportprotein ABCG2 (Mitte) ist in die Zellmembran eingebettet. Es erkennt im Zellinnern (unten) über 200 Stoffe und transportiert diese nach aussen (oben).

Fast alle Lebewesen haben im Lauf der Evolution Mechanismen entwickelt, um Giftstoffe, die ins Innere ihrer Zellen gelangt sind, wieder loszuwerden: In der Zellmembran sitzen molekulare Pumpen, die schädliche Stoffe im Zellinnern erkennen und nach aussen spedieren. Forschende der ETH Zürich und vom Biozentrum der Universität Basel haben nun die dreidimensionale Struktur eines solchen Transportproteins beim Menschen – des Proteins ABCG2 – auf atomarer Ebene aufgeklärt. Es ist dies die erste solche Struktur für einen menschlichen multispezifischen Arzneistofftransporter (engl. multi-drug transporter), die nun bekannt ist.

«Das Protein ABCG2 erkennt und transportiert mindestens 200 bekannte Stoffe», erklärt Kaspar Locher, Professor für Molekulare Membranbiologie an der ETH Zürich und Leiter der Studie. Zu diesen Stoffen gehören Alkaloide – Pflanzeninhaltsstoffe, die wir über die Nahrung aufnehmen –, aber auch körpereigene Stoffe wie Harnsäure oder der Hämoglobin-Abbaustoff Bilirubin.

Aktiv ist das Protein unter anderem in der Darmwand, wo es schädliche Stoffe daran hindert, ins Blut zu gelangen, oder in den Zellen der Blut-Hirn-Schranke, wo es Giftstoffe vom Gehirn fernhält. Bedeutend sind Proteine wie ABCG2 auch in Milchdrüsen und in der Plazenta. Dort sorgen sie dafür, dass Giftstoffe nicht in die Muttermilch gelangen oder in den Blutkreislauf eines ungeborenen Kindes.

Zweischneidiges Schwert

Allerdings hat die Funktion von multispezifischen Arzneistofftransportern eine Kehrseite: Die Proteine pumpen auch gewisse Medikamente aus den Zellen und verhindern so, dass diese im Zellinnern wirken. «Bei der Entwicklung von Medikamenten muss daher immer untersucht werden, ob sie von Transportproteinen wie ABCG2 erkannt werden», sagt Locher. Medikamente, die oral verabreicht werden, müssen die Darmwand durchdringen, und solche, die im Gehirn wirken sollen, müssen die Blut-Hirn-Schranke passieren. Sie können dies nur, wenn ABCG2 sie nicht erkennt.

Von einigen Krebsmedikamenten (Chemotherapeutika) hingegen ist bekannt, dass ABCG2 sie erkennt. Dies ist gravierend, weil gewisse Tumorzellen in der Lage sind, die Zahl der ABCG2-Proteine in ihrer Zellmembran zu erhöhen. Solchen Zellen pumpen Chemotherapeutika effizient nach aussen – sie sind gegen die Medikamente resistent.

Medikamentenentwicklung mit dem Computer

Dank der nun bekannten Struktur von ABCG2 könnten Wissenschaftler künftig am Computer simulieren, ob das Transportprotein neue Arzneimittel erkennen kann. Ebenfalls mithilfe von Computermodellierungen könnten Forschende bessere Antikörper für die Diagnose medikamentenresistenter Krebszellen entwickeln oder Wirkstoffe, welche das Transportprotein hemmen. Mit solchen Wirkstoffen könnten bestimmte Resistenzen gegenüber Chemotherapeutika überwunden werden. «Die Beiträge unserer Forschung für die Medizin und insbesondere die Krebsmedizin sind jedoch längerfristig zu sehen. Wir liefern in erster Linie die Grundlage», betont Locher.

ABCG2 ist ein sehr bewegliches Molekül. Es war deshalb schwierig, das Molekül für die Aufklärung seiner atomaren Struktur festzuhalten. Mithilfe von stabilisierenden Antikörpern ist es den Wissenschaftlern jedoch gelungen, das Protein zu immobilisieren. Die dreidimensionale Struktur bestimmten die ETH-Forschenden in Zusammenarbeit mit Henning Stahlberg, Professor am Biozentrum der Universität Basel, und seiner Gruppe mittels der Kryo-Elektronenmikroskopie. «Wir haben in der letzten Zeit intensiv daran gearbeitet, unsere Elektronenmikroskope in deren Auflösungsvermögen zu optimieren und gleichzeitig weitgehend zu automatisieren. So haben wir eine unglaublich schnelle Analysepipeline geschaffen», sagt Stahlberg.

Die Kryo-Elektronenmikroskopie ist eine verhältnismässig neue Technologie zur Aufklärung atomarer Molekülstrukturen. «Die Technik hat in der Strukturbiologie eine Revolution ausgelöst», sagt Locher. In Anbetracht dieser Bedeutung wird die ETH Zürich weiter in die Methode investieren und am Mikroskopiezentrum ScopeM ein zweites hochauflösendes Kryo-Elektronenmikroskop anschaffen. Es wird allen Wissenschaftlern der Life Sciences zur Verfügung stehen, um Moleküle und Strukturen mit atomarer Auflösung zu untersuchen.

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