Vitamin A-Mangel beeinträchtigt Blutstammzellen

09.05.2017 - Deutschland

Fehlt es dem Körper an Vitamin A, so wird das blutbildende System im Knochenmark in Mitleidenschaft gezogen. Denn durch den Mangel gehen wichtige Blutstammzellen verloren, wie Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum und vom Heidelberger Stammzellinstitut HI-STEM in der neusten Ausgabe der Zeitschrift CELL veröffentlichen. Dabei handelt es sich um schlafende Stammzellen, die nur im Notfall – etwa bei massivem Blutverlust oder Infektionen – aktiv werden. Die Erkenntnisse dienen nicht nur dem besseren Verständnis des Reifungsprozesses von Blutzellen. Sie eröffnen auch neue Perspektiven für die Krebstherapie.

Iris Joval/DKFZ

Vitamin A, das in Lebensmitteln wie Karotten, Brokkoli oder Fisch enthalten ist, reguliert die Blutstammzellen.

Viele spezialisierte Zellen, so etwa in der Haut, im Darm oder im Blut, überleben nur wenige Tage. Ein ständiger Nachschub an diesen Zellen ist daher unerlässlich. Die Quelle dafür bilden wenige adulte Stammzellen, die sich lebenslang teilen. Darüber hinaus existiert im Knochenmark noch eine Gruppe ganz besonderer Stammzellen, wie das Team von Andreas Trumpp, Abteilungsleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum und Direktor des HI-STEM gGmbH bereits im Jahr 2008 erkannt hat. Sie verbringt die meiste Zeit des Lebens in einer Art Schlafzustand und wird nur in Notfällen aktiv, etwa bei bakteriellen oder viralen Infektionen, massivem Blutverlust oder nach einer Chemotherapie. Nach getaner Arbeit versetzt der Körper seine potentesten Stammzellen wieder in den Ruhezustand. Das schützt sie vor gefährlichen Mutationen, die zu Leukämien führen können, vermuten die Wissenschaftler.

Über welche Mechanismen diese speziellen Stammzellen aktiv werden beziehungsweise sich nach getaner Arbeit wieder in den Schlaf versetzen, war bislang unklar. Als einen entscheidenden Faktor haben die Wissenschaftler nun Retinsäure identifiziert, einen Vitamin-A-Abkömmling. Fehlt die Substanz, können aktive Stammzellen nicht mehr zurück in die Schlafphase und reifen stattdessen zu spezialisierten Blutzellen heran. Als Reservoir gehen sie dadurch verloren. Das beweisen Untersuchungen mit speziell gezüchteten Mäusen, deren schlafende Stammzellen grün fluoreszieren. „Füttern wir diese Mäuse über längere Zeit mit einer Vitamin-A-freien Diät, führt dies zum Verlust der Stammzellen“, sagt Nina Cabezas-Wallscheid, Erstautorin der Arbeit. „Damit können wir erstmals belegen, dass Vitamin A einen direkten Einfluss auf Blutstammzellen hat.“

Diese Erkenntnis trägt nicht nur zu einem besseren Verständnis der Entwicklung von Blutzellen bei. Sie wirft auch ein neues Licht auf frühere Studien, die belegen, dass ein Vitamin-A Mangel das Immunsystem beeinträchtigt. „Das zeigt wie lebenswichtig es ist, Vitamin A über eine ausgewogene Ernährung zuzuführen“, betont Cabezas-Wallscheid. Der Körper kann den Vitalstoff nicht selbst herstellen.

Die Wissenschaftler erhoffen sich aber auch neue Perspektiven für die Krebstherapie. Denn vermutlich verharren nicht nur gesunde Stammzellen, sondern auch Krebsstammzellen in solch einem Ruhezustand. Dann ist ihr gesamter Stoffwechsel nahezu abgeschaltet, was sie unempfindlich macht gegenüber Chemotherapien. „Wenn wir im Detail verstanden haben, wie das Vitamin A beziehungsweise die Retinsäure dazu beiträgt, normale und bösartige Stammzellen in den Schlaf zu schicken, können wir versuchen den Spieß umzudrehen“, erklärt Trumpp. „Gelänge es, Krebsstammzellen kurzzeitig gezielt in einen aktiven Zustand zu bringen, könnte man sie damit zugänglich machen für moderne Therapien.“

Darüber hinaus haben die Wissenschaftler gemeinsam mit Kollegen vom European Bioinformatics Institute in Cambridge dank genomweiter Analysen von hunderten von Einzelzellen entdeckt, dass der Übergang von schlafenden zu aktiven Stammzellen und dann weiter zu Vorläuferzellen kontinuierlich und für jede Zelle individuell verschieden abläuft. Bisher ging man davon aus, dass nach einem festen Entwicklungsschema schrittweise bestimmte Zelltypen entstehen. Diese Erkenntnis revolutioniert die bisherige Vorstellung davon, wie Zelldifferenzierung im Körper abläuft.

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