Seltene Muskelkrankheit entdeckt

24.03.2017 - Deutschland

Nach der Ursache für diese erbliche Krankheit mussten die Bochumer Mediziner gründlich suchen. Und auch jetzt sind noch viele Fragen zu den zugrunde liegenden Mechanismen offen.

© Roberto Schirdewahn

Auf Zehenspitzen zu laufen ist für Patienten mit der neu entdeckten Muskelkrankheit im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr möglich. Sie bewegen sich im Watschelgang fort.

Eine neue seltene Muskelkrankheit haben Forscher der Ruhr-Universität Bochum (RUB) entdeckt. Ursache für die vererbbare Erkrankung ist ein Defekt im Gen BICD2, der sich in veränderten zellulären Transportprozessen in Skelettmuskelzellen äußert. Betroffene leiden an Muskelschwäche in den Beinen, einem unsicheren Gang und der ständigen Gefahr zu stolpern. BICD2 war schon vorher als Krankheitsauslöser bekannt, allerdings nur für Krankheiten, deren Ursache im Nervensystem liegt. Ein BICD2-Syndrom, das sich in einer veränderten Skelettmuskulatur äußert, war zuvor nicht beschrieben worden.

Das Team um Prof. Dr. Matthias Vorgerd von der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Bergmannsheil und Dr. Andreas Unger vom Bochumer Institut für Physiologie berichtet im RUB-Wissenschaftsmagazin Rubin und in der Fachzeitschrift Neurology.

Breites Krankheitsspektrum

Die bisherigen Befunde legen nahe, dass BICD2-Defekte ein ganzes Spektrum von neuromuskulären Erkrankungen auslösen können. "Wahrscheinlich gibt es eine schwere Krankheitsform, die schon bei der Geburt ausgeprägt ist und zum Tod in den ersten Lebensmonaten führt", sagt Matthias Vorgerd. Einen entsprechenden Fall untersucht das Team gerade. Diese Symptomatik steht an dem einen Ende des klinischen Spektrums der BICD2-Krankheiten; am anderen Ende stehen Ausprägungen mit relativ milden Beschwerden, die erst im hohen Erwachsenenalter zutage treten.

Das BICD2-Spektrum umfasst Krankheiten, deren Ursache entweder nur in der Skelettmuskulatur liegt oder nur im Nervensystem, aber auch Krankheiten, die eine Mischform aus beidem sind.

Transport in Muskelzellen beeinträchtigt

Bei den von den Bochumern beschriebenen Patienten mit muskulärer BICD2-Krankheit waren Unter- und Oberschenkelmuskulatur betroffen, aber keine relevanten Veränderungen im Nervensystem sichtbar. Physiologische Untersuchungen offenbarten, dass die Myofibrillen, die Bausteine der Muskelfasern, degeneriert waren. Zellorganellen, nämlich Mitochondrien und Golgi-Apparat, waren in Form und Größe verändert.

Wie der BICD2-Gendefekt diese vielfältigen Veränderungen auslöst, wollen die Bochumer Wissenschaftler in Zukunft erforschen. Sie gehen davon aus, dass das kranke BICD2-Protein den gerichteten Transport in Muskelzellen beeinträchtigt. "Transportprozesse in Muskelzellen sind so eine Art Schwarzes Loch, man weiß bislang nur sehr wenig über sie", erklärt Andreas Unger. Soll eine Fracht innerhalb der Zelle transportiert werden, wird sie dazu in ein Membranbläschen verpackt und von einem beweglichen Motorprotein befördert. Das BICD2-Protein fungiert als Adapter zwischen der zu transportierenden Fracht und dem Motorprotein. Es bestimmt mit, welche Fracht transportiert wird und wohin, und es reguliert die Geschwindigkeit des Motorproteins. Vieles über die physiologische Funktion von BICD2 ist aber noch nicht erforscht, etwa welche Fracht es überhaupt transportiert.

Weiter Weg bis zur Therapie

"Es ist wichtig, die Krankheit möglichst gut zu beschreiben, um Aussagen zum Vererbungsgang, zum Verlauf und zu Therapieoptionen machen zu können", erklärt Vorgerd. Klar ist schon, dass die Mutation dominant vererbt wird. Wie viele Menschen betroffen sind, dazu gibt es bislang keine Schätzungen. Aber es handelt sich um eine seltene Krankheit. Um über Therapieoptionen nachdenken zu können, müssen zunächst Ursachen und auch die Transportprozesse in gesunden Muskelzellen besser verstanden werden.

Im nächsten Schritt sollen Kliniker einen Diagnoseschlüssel an die Hand bekommen, damit sie die muskuläre BICD2-Krankheit als solche identifizieren können. Um Fortschritte zu machen, werden die Forscher auch auf Gewebeproben von weiteren Patienten angewiesen sein.

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