Immunsystem: Wer lockt die Polizisten auf Streife?

21.02.2017 - Deutschland

T-Zellen gehen für das Immunsystem auf Streife: Sie halten Ausschau nach verdächtigen Veränderungen und alarmieren gegebenenfalls weitere Immunzellen, die Eindringlinge bekämpfen. Bislang war noch nicht vollständig geklärt, wie die lebenswichtigen T-Zellen aus dem Thymus mobilisiert werden. Neben dem bereits bekannten S1P haben Wissenschaftler des Exzellenzclusters ImmunoSensation der Universität Bonn mit Cers2 ein weiteres wichtiges Protein entdeckt, mit dem die T-Zellen in die Blutbahn gelockt werden. Das Ergebnis birgt auch Potenzial für neue Therapien zum Beispiel von Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose.

© Foto: Volker Lannert/Uni Bonn

Am Massenspektrometer: Prof. Dr. Waldemar Kolanus (rechts) und Michael Rieck vom Life and Medical Sciences Institut (LIMES) der Universität Bonn.

Wie Streifenpolizisten wandern T-Zellen durch den Körper und schauen nach krankhaften Veränderungen oder Einbrechern. Werden die T-Zellen fündig, schlagen sie bei anderen Immunzellen Alarm. So werden der Eindringling oder die kranke Zelle schließlich ausgeschaltet. Wichtig ist, dass immer eine ausreichende Zahl an Polizisten Dienst schiebt. Sie werden im Knochenmarkt rekrutiert, wo die T-Vorläuferzellen erzeugt werden und dann in den Thymus wandern, wo sie ausreifen. Dieses Organ ist namengebend für die T-Zellen. Die Thymusdrüse befindet sich hinter dem Brustbein, oberhalb des Herzens. Von dort wandern die T-Zellen weiter in den Blutkreislauf und in verschiedene Organe.

Noch nicht vollständig geklärt ist, wer diese Truppe kommandiert und wer über die Verteilung der „Immun“-Polizisten im Körper entscheidet. Ein wichtiger Botenstoff für die Auswanderung von Immunzellen aus dem Thymus in den Blutkreislauf ist Sphingosin-1-Phosphat (S1P). Die Substanz dient als eine Art Lockmittel für die T-Zellen. „Wenn die Menge an S1P im Thymus und im Blutgefäß in einem bestimmten Verhältnis steht, begeben sich die T-Zellen auf Wanderschaft“, berichtet Prof. Dr. Waldemar Kolanus vom Life and Medical Sciences (LIMES) Institut der Universität Bonn. Die Frage ist, wie dieses Konzentrationsgefälle als Marschbefehl aufrechterhalten wird.

Prof. Kolanus hat nun mit einem Team des Exzellenzclusters ImmunoSensation der Universität Bonn, darunter Prof. Dr. Christian Kurts vom Institut für Experimentelle Immunologie, sowie des Universitätsklinikums Jena ein weiteres Enzym als wichtigen Regulator für die Verteilung der T-Zellen im Körper entdeckt: Die Ceramide-Synthase-2 (Cers2) beeinflusst die Wirksamkeit von S1P.

Wenn die S1P-Menge gestört ist, bleiben die Polizisten in der Kaserne

Prof. Dr. Klaus Willecke vom LIMES-Institut der Universität Bonn stellte Mäuse zur Verfügung, die über kein Cers2-Enzym verfügten. An diesen Tieren wiesen die Wissenschaftler nach, dass das Konzentrationsgefälle an S1P gestört war und deshalb das Lockmittel für die T-Zellen nicht funktionierte. Deshalb blieben die Polizeieinheiten in der Kaserne und gingen nicht auf Streife. S1P und Cers2 konkurrieren gemeinsam um ein Enzym, das aus einer Vorläufersubstanz den Lockstoff Sphingosine-1-Phosphat herstellt. Ist das Angebot an Cers2 zu groß, kann zu wenig von S1P hergestellt werden, weil das Enzym dann teilweise blockiert ist.

„Dies führt zu einer Veränderung der S1P-Konzentration innerhalb eines engen Spielraums“, sagt Erstautor Michael Rieck, Doktorand in Prof. Kolanus´ Team. „Wenn zu viel oder zu wenig Cers2 vorhanden ist, wird das Enzym gehemmt und die erforderliche Menge an S1P kann nicht gebildet werden.“ Das ist einem zu starken Lockduft ähnlich, für den die Nase unempfindlich wird - die Kasernentore bleiben damit für die Streifenpolizisten geschlossen. Experimente der Forscher deuten darauf hin, dass die Menge an Cers2 wiederum über das Blut vermittelt wird.

Anwendungspotenzial für neue Medikamente

„Cers2 ist von fundamentaler Bedeutung für die Erneuerung der T-Zellen im Blutkreislauf“, fasst Prof. Kolanus zusammen. Dies sei eine wichtige Voraussetzung dafür, zum Beispiel eingedrungene Krankheitserreger in Schach zu halten. Auch zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen berge das Ergebnis Potenzial, so die Forscher. Zur Therapie von Multipler Sklerose ist bereits ein Medikament auf dem Markt, mit dem die Wanderung von fehlgeleiteten Immunzellen unterbunden wird, die ansonsten das körpereigene Gewebe angreifen würden. „Es werden jedoch weitere Wirkstoffe mit neuartigen Ansatzpunkten gebraucht, die bei Autoimmunerkrankungen die Wanderung dann schädlicher Immunzellen unterbinden“, sagt Prof. Kolanus.

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