Bakterielles Pac-Man-Molekül schnappt nach Zucker
Tarnkappe aus körpereigenen Substanzen: Abwehrzellen erkennen Eindringlinge nicht
© Dr. Gregor Hagelüken/Uni Bonn
Zellen der Mund-, Nasen- oder Darmschleimhaut produzieren in großen Mengen Sialinsäure. Viele Bakterien verfügen über ein spezielles Transportsystem, mit dem sie die Zuckerverbindung aufnehmen können. Sie nutzen Sialinsäure etwa zur Energiegewinnung, aber auch, um den Argusaugen des Immunsystems zu entgehen. Dazu bauen sie den Zucker in ihre Zellwand ein. Dank dieser Tarnkappe aus körpereigenen Substanzen erkennen Abwehrzellen nicht, dass es sich bei den Bakterien um Eindringlinge handelt.
Viele Bakterien sind von zwei Membranen umgeben, die sie wie dünne Häutchen umhüllen. Die Aufnahme der Sialinsäure durch die innere dieser Membranen erfolgt oft über den so genannten TRAP-Transporter. Er besteht aus drei Komponenten. Eine davon – die P-Domäne – patrouilliert frei beweglich zwischen den beiden Membranen. Wenn sie auf ein Sialinsäure-Molekül trifft, greift sie danach und bringt es zur inneren Membran. Dort sitzen fest verankert die beiden anderen Komponenten. Sie übernehmen die Aufgabe, die Zuckerverbindung in die Bakterienzelle zu schleusen.
Rasante Kaubewegung
„Die atomare Struktur der P-Domäne war bereits bekannt“, erklärt Dr. Gregor Hagelüken vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Bonn. „Nun wollten wir zusammen mit unserem Kooperationspartner Dr. Gavin Thomas von der University of York herausfinden, wie genau sich die P-Domäne die Sialinsäure greift. Wir konnten zeigen, dass sie – bildlich gesprochen – mit geöffnetem Mund lauert, bis sie auf ein Zuckermolekül trifft. In diesem Moment schnappt sie zu.“ Die P-Domäne vollführt also eine rasante Kaubewegung, die entfernt an die Computerspielfigur Pac-Man erinnert.
Die Forscher nutzten in ihrer Arbeit die EPR-Spektroskopie, eine Methode, mit der sich Abstände von Molekülteilen zueinander auf den zehnmillionstel Millimeter genau messen lassen. Auf diese Weise konnten sie die Bewegung des „Pac-Man-Kiefers“ nachvollziehen.
„Dazu pflanzten wir den Bauplan für die P-Domäne in harmlose Darmbakterien ein und züchteten diese im Reagenzglas an“, erklärt Janin Glänzer, Doktorandin am Institut für Physikalische und Theoretische Chemie. „Dann haben wir das Protein in einem aufwendigen Verfahren gereinigt und fügten ihm unterschiedliche Mengen von Sialinsäure zu.“
Um die Kaubewegung zu untersuchen, nutzten die Forscher einen Trick: Sie versahen die „Kiefer“ der P-Domäne mit molekularen Etiketten und maßen dann den exakten Abstand zwischen diesen Markierungen. „Wir konnten so einerseits zeigen, dass die P-Domäne nur in zwei Formen vorliegen kann: einer geöffneten und einer geschlossenen“, sagt der Chemiker Martin Peter, der in seiner Masterarbeit an dem Thema gearbeitet hat. „Eine stabile Übergangsform konnten wir nicht nachweisen. Ohne Sialinsäure befinden sich alle P-Domänen im geöffneten Zustand. Je mehr Zucker wir zugaben, desto mehr P-Domänen waren geschlossen.“
Die Erkenntnisse helfen möglicherweise dabei, neue Wirkstoffe gegen Krankheitserreger zu entwickeln, hofft Hagelüken. „Wir können zum Beispiel versuchen, die Kaubewegung zu unterbinden – zum Beispiel durch einen molekularen Maulkorb oder eine Maulsperre.“
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