Physiker entwickeln weltweit erstmals künstliche zellartige Kugeln aus natürlichen Proteinen
Grafik: AG Jacobs
Die Forscher der Universität des Saarlandes um Karin Jacobs, Professorin für die Physik kondensierter Materie, hatten eigentlich etwas ganz anderes im Sinn. Ursprünglich wollten sie die Eigenschaften bestimmter natürlich vorkommender Proteine, so genannter Hydrophobine, erforschen und beschreiben. „Uns ist aufgefallen, dass die Hydrophobine Kolonien bilden, wenn man sie in Wasser gibt. Sie ordnen sich sofort dicht an dicht an den Grenzflächen zwischen Wasser und Glas oder zwischen Wasser und Luft an“, beobachtete Karin Jacobs. „Zwischen den einzelnen Hydrophobinen muss also eine Anziehungskraft herrschen, sonst würden sie sich nicht zu Kolonien zusammenfinden.“ Aber wie stark diese Kraft ist, wussten sie und ihr Mitarbeiterteam um Dr. Hendrik Hähl nicht.
An dieser Stelle kam der benachbarte Lehrstuhl von Professor Ralf Seemann ins Spiel. Sein Mitarbeiterteam um Dr. Jean-Baptiste Fleury beschäftigt sich im Schwerpunkt mit den Vorgängen, die sich an den Grenzflächen zweier Flüssigkeiten abspielen. Die Forscher haben nun, genau wie an einer Straßenkreuzung mit vier Einmündungen, in einer winzigen Versuchsanordnung einen Ölstrom quer über die Kreuzung geschickt. Von den anderen beiden Einmündungen aus ließen sie nun „Wasserfinger“, in denen sich die Hydrophobine ganz vorne anordneten – sie streben ja immer an die Grenzfläche des Mediums, in dem sie schwimmen – in diese Kreuzung hineinragen. Die Physiker „drückten“ diese Finger stetig weiter aufeinander zu, um zu sehen, ab welchem Zeitpunkt die Anziehungskraft wirkt. „Irgendwann schnappen die beiden Wasserfinger dann zusammen und bildeten eine einzige stabile Grenzfläche aus zwei Lagen“, sagt Ralf Seemann. „Das Verrückte dabei ist: Es funktioniert auch anders herum, also mit Ölfingern, die einen Wasserstrom unterbrechen“, erklärt der Physiker. Dies sei neuartig, denn bei anderen Molekülen funktioniert dies nur in einem der beiden Szenarien. Ursache für dieses Verhalten ist, dass sich die Proteine normalerweise entweder mit ihrer wasserliebenden, der hydrophilen Seite, an ein wässriges Medium anheften, oder mit ihrer hydrophoben Seite an einem öligen Medium. Dass eine Sorte von Molekülen in beiden Umgebungen gleichzeitig stabile Doppellagen bildet, ist neu.
Von dieser Erkenntnis angetrieben, wollten die Forscher in einem dritten Experimentierschritt dann herausfinden, ob sich diese stabile Doppellage zu einer Art Transporttasche, einem Vesikel, formen lässt. Ähnlich wie eine Seifenblase haben sie dazu die stabile Doppelmembran aufgeblasen, allerdings mit Flüssigkeit, nicht mit Luft. Es funktionierte: Die zellartige Kugel mit der Doppelmembran aus natürlichen Proteinen blieb stabil. „Das hat bisher noch niemand gemacht“, freut sich Jean-Baptiste Fleury, der diese Experimente durchgeführt hat, über diesen Erfolg. Künstlich herstellbar waren bisher nur einlagige Membranen oder Vesikel aus speziell synthetisierten Makromolekülen. Vesikel mit einer Doppelmembran aus natürlichem Protein, die dazu noch maßgeschneidert entweder für eine wässrige oder eine ölige Umgebung geeignet sind, gibt es bisher nicht.
In einem weiteren Schritt haben die Wissenschaftler nachgewiesen, dass sich in diese Vesikel auch Ionenkanäle einlagern lassen, die geladene Teilchen, Ionen, durch die Doppellage aus Hydrophobinen transportieren können, genau wie bei einer natürlichen Zellwand, die aus einer Doppellage aus Lipidmolekülen besteht.
Dadurch haben die Physiker die Grundlage für weitere Forschungsarbeiten gelegt, zum Beispiel für einen zielgenaueren Wirkstofftransport. Man könnte in solchen Vesikeln zum Beispiel wasserlösliche Moleküle durch eine wässrige Umgebung hindurch transportieren und öllösliche durch eine ölige Umgebung. „Wir werfen dem Wirkstoff sozusagen ein Vesikel-Mäntelchen über“, vergleicht Dr. Hendrik Hähl die Methode. „Dadurch, dass sie eine natürliche Verpackung bilden, haben solche Vesikel das Potential für die Anwendung im menschlichen Körper.“
Dieses Forschungsergebnis war so nicht geplant, denn eigentlich war das Ziel, nur die Energie zu bestimmen, die die Hydrophobine zur Agglomeration, also zur Kolonienbildung, bewegt. Nachdem sich dann eine Doppellage in beiden Orientierungen bilden ließ, war der Weg frei, auszuprobieren, ob sich auch Vesikel generieren lassen. Dass so eines zum anderen führte, quasi vom wissenschaftlichen Hölzchen aufs Stöckchen, ist geradezu ein Lehrstück der erkenntnisorientierten Forschung: „Die ‚Entdeckung‘ dieser Vesikel ist prototypisch für das Wesen der Grundlagenforschung. Anders ausgedrückt: Hätte uns am Anfang jemand gesagt: ‚Macht diese Dinger aus einer natürlichen Doppelmembran‘, hätten wir das vermutlich nicht hinbekommen“, resümiert Karin Jacobs.
Originalveröffentlichung
„Pure Protein Bilayers and Vesicles from Native Fungal Hydrophobins“; Advanced Materials; 2016.