Das Geheimnis der „Dancing Piglets“

Wissenschaftler weisen neuartige Pestiviren im Gehirn und im Nervengewebe von „Zitterferkeln“ nach

23.06.2016 - Deutschland

Vor beinahe einhundert Jahren wurde das klinische Syndrom der „Dancing Piglets“, also der „tanzenden Ferkel“, erstmals beschrieben. Bei ausgeprägter Erkrankung zittern betroffene Ferkel nach der Geburt so stark, dass es ihnen unmöglich ist, aufzustehen oder Muttermilch aufzunehmen. Je nach Ursache und dem Schweregrad der Erkrankung sind die Überlebenschancen der Ferkel sehr unterschiedlich. Wissenschaftler der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) konnten jetzt einen Zusammenhang zwischen einem erst kürzlich entdeckten Virus und den Zitterferkeln herstellen.

Die Erkrankung – im Fachjargon als „kongenitaler Tremor“ oder „Myoclonia congenita“ bezeichnet – wird in den tiermedizinischen Lehrbüchern in verschiedene Typen unterteilt: Neben genetischen Ursachen und Intoxikationen spielen infektiöse Ursachen eine wichtige Rolle. Infektiöse Ursachen liegen bei den Typen A I und A II vor: Typ A I tritt auf, nachdem sich die Ferkel über die Gebärmutter mit dem Virus der Klassischen Schweinepest (KSPV) infizierten. Für den Typ A II wurde eine Infektion mit einem weiteren, bislang unbekannten Virus vermutet.

Wissenschaftler des Instituts für Virologie fanden in einem Kooperationsprojekt mit dem Institut für Pathologie und der Klinik für kleine Klauentiere der TiHo unter anderem in den Gehirnen und im Nervengewebe von Zitterferkeln die Genome eines erst kürzlich entdeckten Pestivirus. Ausgangspunkt für ihre Entdeckung waren mehrere Ausbrüche des „kongenitalen Tremors“, die 2015 in Nordrhein-Westfalen auftraten. Professor Dr. Paul Becher aus dem Institut für Virologie sagt. „Nachdem wir andere Ursachen, wie beispielsweise eine KSPV-Infektion, ausgeschlossen hatten, untersuchten wir die Proben auf das im vergangenen Herbst erstmalig in den USA beschriebene Pestivirus – und waren erfolgreich.“ Dieses neu entdeckte Virus gehört zwar ebenfalls zur Virus-Familie Flaviviridae, ist mit dem KSPV aber nur sehr entfernt verwandt und wurde deshalb vorläufig als „Atypisches porzines Pestivirus“ (APPV) bezeichnet.

Bei heranwachsenden und erwachsenen Schweinen scheint eine Infektion mit APPV nach derzeitigem Wissensstand klinisch unauffällig zu verlaufen – die Tiere zeigen keine Symptome. Nach der Arbeitshypothese der Wissenschaftler, sind insbesondere junge Sauen während der ersten Trächtigkeit empfänglich für die APPV-Infektion. Sie übertragen das Virus auf die ungeborenen Ferkel – je nach Stadium der Trächtigkeit mit entsprechenden Konsequenzen. Fast zeitgleich mit den Forschern der TiHo berichtet auch eine Forschergruppe aus den USA über eine Beteiligung von APPV an der Entstehung des „kongenitalen Tremors“ und zeigte, dass die Übertragung von APPV-positivem Schweineserum von einer klinisch unauffälligen Sau auf tragende Sauen unter experimentellen Bedingungen zur Geburt von Zitterferkeln führt. Ob APPV außerdem indirekt den Gesundheitszustand der infizierten Schweine beeinflusst, indem es, wie auch KSPV und andere Pestiviren, das Immunsystem der infizierten Wirte schwächt, wird Gegenstand weiterer Forschung an der TiHo sein.

Um ein neues Virus handelt es sich allerdings nicht. Eine genetische Charakterisierung der Viren, an der auch Wissenschaftler des Heinrich-Pette-Institutes in Hamburg und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf beteiligt waren, lieferte Informationen über die Herkunft der Viren: Die unterschiedlichen APPV-Varianten, die in drei Bundesländern gefunden wurden, sind genetisch voneinander genauso weit entfernt wie von dem Virusgenom, das aus den USA bekannt ist. Damit ist davon auszugehen, dass es zwischen den deutschen APPV-Funden keinen epidemiologischen Zusammenhang gibt und dass sich diese RNA-Viren über einen langen Zeitraum getrennt voneinander entwickelten. „Bislang waren diese Viren für die virologische Diagnostik unsichtbar. Mit der erfolgreichen Entwicklung sensitiver Genom- und Antikörper-Nachweismethoden können wir den Landwirten und Kollegen in der Schweinepraxis nun bei Problemen in Zitterferkel-Beständen möglicherweise weiterhelfen, sodass auch eine Sanierung in Problembeständen möglich sein wird“, freuen sich Dr. Alexander Postel, Institut für Virologie und Professor Dr. Michael Wendt, Klinik für kleine Klauentiere.

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