So weitreichend wie das Klonen: Ehrlich-Preis für «Genschere»
(dpa) Ihre Forschungen gelten als Quantensprung, sind aber nicht unumstritten: Die Französin Emmanuelle Charpentier (47) und die Amerikanerin Jennifer A. Doudna (52) haben den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2016 erhalten. Die Wissenschaftlerinnen nahmen die mit 100.000 Euro dotierte Ehrung am Montag in der Frankfurter Paulskirche entgegen. Sie wurden für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Entwicklung einer programmierbaren «Genschere» geehrt.
Die Mikrobiologin und die Biochemikerin haben ein gentechnisches Verfahren vereinfacht und damit einen Forschungsboom ausgelöst. Mit CRISPR-Cas9 lässt sich jede Gensequenz zerschneiden, ausschalten oder durch eine andere ersetzen. «Preiswert, schnell und einfach in der Handhabung revolutioniert sie gerade die Medizin und die Biowissenschaften», findet die Paul-Ehrlich-Stiftung.
«Die CRISPR-Technologie wird vermutlich helfen, Erbkrankheiten zu kurieren, gefährliche Keime auszurotten und gerade für die Notgebiete der Erde produktive Pflanzen zu züchten», sagte der Stiftungsratsvorsitzende, Harald zur Hausen. Die Entdeckung sei «vermutlich ähnlich weitreichend wie seinerzeit die Entdeckung des Klonierens», sagte der Medizin-Nobelpreisträger.
In seiner Laudatio sprach Prof. Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften (Leopoldina), von «einem - ja vielleicht dem - erfolgreichsten Verfahren der Molekularbiologie der vergangenen 10 oder gar 20 Jahre». Mit der Genschere könne aber auch der menschliche Genpool verändert werden - es gehe um die «Entwicklung unserer Wissenschaft, aber auch unserer Gesellschaft. Deshalb ist es nötig, eine öffentliche Diskussion zu führen».
Der Stiftungsrat lobte, dass Charpentier und Doudna sich selbst für eine ethische Debatte einsetzen. In England sei gerade die gentechnische Veränderung menschlicher Embryonen erlaubt worden. «Wir werden dieses Feld sicherlich in Zukunft sorgfältig beobachten müssen», sagte zur Hausen. Bei einer Pressekonferenz am Mittag sagte Charpentier: «Das Verfahren sollte nur benutzt werden, um Patienten zu behandeln, aber nicht für die Manipulation menschlicher Keimbahnen.»
Charpentier hofft, «dass CRISPR-Cas9 eines Tages erfolgreich eingesetzt werden kann, um schwerwiegende genetische Störungen beim Menschen zu behandeln, sagte sie in ihrer Dankesrede. Die Technologie habe ihr Potenzial für Forschung und Entwicklung in den Laboren bereits bewiesen. Nun hoffe sie, «dass sie ihr umgestaltendes Potenzial auch in der medizinischen Therapie demonstriert».
Doudna wertete den Preis als Bestätigung für die von Neugier getriebene Grundlagenforschung. «Ich hoffe, dass er uns allen hilft, ihren eigentlichen Wert für die Gesellschaft zu unterstreichen.» Auch sie lehnt «das Editieren der menschlichen Keimbahn für klinische Zwecke» ab.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagte, mit CRISPR-Cas9 verbänden sich «große Chancen und riesige Hoffnungen». Man müsse sich aber auch der möglichen Tragweite bewusst sein. Man brauche hier «klare Grenzen, die von der Wissenschaft beachtet werden», sagte der Minister.
Den mit 60.000 Euro dotierten Nachwuchspreis erhielt Claus-Dieter Kuhn von der Universität Bayreuth. Er erforscht, welche Rolle Ribonukleinsäuren bei der Regung zellulärer Prozesse spielen. Er forsche «mit Herz und Verstand, unermüdlich und mit einem Enthusiasmus, der ansteckt», hieß es in der Laudatio.
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